Weder Öko, noch Rebell: Wie die Jungen die Grünen umkrempeln
Der eine spazierte dauergrinsend im Kapuzenpulli durchs Hohe Haus; die andere – verschränkte Arme und Kurzhaarfrisur – brachte sich mit Kampf-Rhetorik gegen die frühere Grünen-Chefin in die Schlagzeilen.
Und jetzt sitzt da ein junger Mann im blauen Sakko und Sneakers im Park und erzählt, er wolle wieder „Empathie und Menschlichkeit“ in die Politik bringen.
Der Wiener Gemeinderat Peter Kraus ist weder Öko noch Rebell, will weder „nur lieb sein“ noch „100 Prozent kritisch“ wie die gescheiterten jungen Grün-Politiker Julian Schmid (Kapuzenpulli) und Flora Petrik (Kurzhaar).
Kraus gilt als einer der Top-Favoriten für die etwaige Nachfolge von Vizebürgermeisterin Maria . Die Weichen dafür werden beim Parteitag der größten Grünen Landesorganisation im Juni gestellt.
Mit Nina Tomaselli aus Vorarlberg hat der 31-Jährige das „Next Generation Lab“ ins Leben gerufen, und mobilisiert jetzt junge Politiker aus ganz Österreich, an der Neugestaltung der Grünen Partei mitzuarbeiten.
Wo soll aber die Reise hingehen? Wie sollen sie aussehen, die neuen Grünen? Der KURIER hat nachgefragt.
KURIER: Angenommen, die Regierung zerbricht morgen. Welche drei Themen sollten die Grünen in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen?
Peter Kraus: Auf jeden Fall das leistbare Leben und Wohnen. Wir haben bei Georg Willi in Innsbruck gesehen, dass das ein brennendes Thema ist – vor allem für junge Leute in den Städten. Als zweites natürlich den Klimaschutz. Und als drittes die Frage, wie wir unser Zusammenleben organisieren können. Das klingt sehr groß, ist aber ein wichtiges Ziel: Die Empathie und Menschlichkeit wieder in die Politik zurückzubringen.
Sind das wirklich die brisantesten Themen der Gesellschaft oder wollen Sie damit nur die ehemaligen Grün-Wähler zurückholen?
Ich glaube, das sind sehr breite Themen. Die Grünen müssen wieder den Mut haben, die großen Dinge anzusprechen, die relevant sind für die nächsten Jahrzehnte und damit für den Großteil der Bevölkerung.
Klimaschutz scheint aber ein Thema zu sein, das die meisten Menschen nicht unmittelbar interessiert.
Ich glaube, man muss die Klimakrise anders erzählen. Und zwar, weil sie Konsequenzen hat. Die Weltbank geht davon aus, dass der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten die größte Fluchtursache sein wird. Und die Weltbank ist ja nicht unbedingt bekannt als Grüne Teilorganisation. Gerade im globalen Kontext sollten wir uns daher darum bemühen, dass die Menschen in ihrer Heimat nicht ihre Lebensgrundlage verlieren und flüchten müssen. Zum anderen hat Klimapolitik Einfluss auf die Wirtschaft. Wer sein System auf ökologisch umstellt, in nachhaltige Energie investiert, hat Wettbewerbsvorteile.
Haben Sie den Eindruck, dass die Grünen an diesen Fragen effektiv arbeiten? Etwa beim Kongress in Linz vergangene Woche, als es Impulsreferate, Workshops und Diskussionen gab?
In Linz wurde ein erster Schritt getan, um sich den politischen Debatten zu widmen. Ich würde mehr Mut wünschen, in die Richtung zu denken: Wo sollen die Grünen in 20 Jahren stehen? Nur im Hier und Jetzt zu diskutieren, kann zu wenig sein.
Haben Sie deshalb das "Next Generation Lab" mit jungen Grün-Politikern gegründet?
Unser Anspruch war: Wir haben jetzt genug analysiert, wir müssen uns nicht noch ein halbes Jahr lang erzählen, was alles schiefgelaufen ist. Es geht um den Blick nach vorne, den Mut für größere Visionen. Wir müssen auch wieder mehr Kampfeslust entwickeln und politische Debatten anregen.
Im Protokoll des ersten Grün-Treffens im Februar in Wien steht unter dem Stichwort "Generationswechsel": "Es fehlt die Rebellion." Seid ihr das?
Ich bin ein Anhänger der Evolution, denn Rebellion kann schnell in Zerstörung enden, und das will ja niemand.
Bundessprecher Werner Kogler hat gesagt, er will die Jungen vor den Vorhang und in den Vorstand holen und es wäre für ihn eine Bruchlinie, wenn es da Widerstand gäbe. Ist das ein Lippenbekenntnis oder spürt man das schon?
Ich glaube ihm das und schätze es sehr, dass er die junge Generation mehr reinholt. Es wäre für die Grünen nicht klug, das nicht zu tun. Ich sehe schon erste Schritte, die Reaktionen sind positiv bis vorsichtig. Das ist schon richtig so. Wir wollen die Partei anstupsen und herausfordern, in die Gänge zu kommen.
Es gibt sicher Alte, die sagen: "Was wisst ihr denn schon?"
Ja, das wird es immer geben. Es ist unsere Aufgabe, zu sagen: Hört uns zu. Aber auch, die Sicht und Erfahrung der Älteren respektieren. Dann gelingt das Miteinander sehr gut.
Das war in der Vergangenheit ja nicht immer so: Man denke an Julian Schmid oder Flora Petrik.
Mir scheint, da ist der Mittelweg nicht gelungen - zwischen "nur lieb sein" und "100 Prozent Kritik". Sinnvoll wäre ein Bekenntnis, gemeinsam zu arbeiten. Nur so sind wir stark.
Bei der Nationalratswahl ist Rechts gewählt und Links abgewählt worden. Ist das ein Gesellschaftsbild oder war einfach das Angebot der Linken nicht gut genug?
Ich glaube, dass diese Links-Rechts-Unterscheidung nicht mehr reicht, es ist sehr viel komplexer geworden. Es stimmt, dass es dem rechten, konservativen Lager bei der Wahl besser gelungen ist, Antworten und Halt zu geben. Unsere Aufgabe ist: besser zuhören, nicht jede Frage gleich mit einer Antwort zuballern und Diskussionen führen.
Ein konkretes Thema: Wie stehen Sie zur Mindestsicherung. Die Grünen haben eine Verschärfung in der Vorarlberger Regierung ja mitgetragen.
Für mich ist vollkommen klar, dass man bei der Mindestsicherung nicht spart. Das ist das unterste Existenzminimum. Abgesehen davon, dass erst recht soziale Probleme auf uns zukommen, wenn ich den Armen das letzte wegnehme, ist das einfach eine Frage der Menschenwürde. Was ist eigentlich mit der Empathie in der Politik und der Gesellschaft passiert? Können wir uns überhaupt vorstellen, wie es einem Menschen geht, der immer nur gehört hat: Du gehörst nicht dazu, du bist ein Problem? Die politische Kultur ist von Feindseligkeit geprägt. Es wäre wichtig, wenn wir da wieder mehr positive Stimmung hineinbringen.
Die Grünen sind als Oppositionsrolle im Bund ja gewohnt, hart ihre Positionen zu vertreten. Sind Sie da anders?
In der Politik ist nichts von sich aus richtig oder falsch, gut oder böse. Das Tolle an der Demokratie ist ja, dass man die eigenen Standpunkte immer überprüfen kann - an der Zeit und an der Kritik anderer. Mit einem unverrückbaren Standpunkt in eine Debatte zu gehen, führt ja die Demokratie ad absurdum.
Sie engagieren sich gerade als Gemeinderat für die Bundes-Grünen. Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft?
Ich bin ein leidenschaftlicher Städter und liebe es, Politik in Wien zu machen. Wenn ich von hier aus einen Beitrag leisten kann, damit die Grünen insgesamt besser aufgestellt sind, dann mache ich das gerne.
Ihr Name wird oft genannt als Nachfolger von Maria Vassilakou.
Wir werden im Juni beim Landesparteitag einen Fahrplan beschließen und wir sind gut beraten, wenn wir die Personaldiskussion gut strukturiert und gemeinsam führen.
Stimmt es, dass intern schon der Wahlkampf begonnen hat – zwischen David Ellensohn, Joachim Kovacs und Ihnen?
Wir müssen aufhören mit diesen intransparenten Mauscheleien, sondern die Personalfrage auf eine breite Basis stellen. Es ist bekannt, dass ich für eine Öffnung der Partei bin. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir offen, klar und transparent diese Entscheidungen treffen.
Es besteht aber die Gefahr, dass ein Konflikt um die Nachfolge offen ausgetragen wird – zum Nachteil der Partei.
Es ist sehr wohl möglich, die Personalfrage als respektvolle und inhaltlich reichhaltige Diskussion zu gestalten. Und nicht so, wie wir das bisher hatten: Kampfkandidaturen auf Parteitagen, wo immer nur Verlierer produziert wurden.
Haben die Grünen eine Chance, wenn Vassilakou bleibt?
Die Grünen haben dann eine Chance, wenn sie inhaltlich gut aufgestellt sind und ein klares Bild haben, wie Wien 2030 ausschauen soll. Die Person Vassilakou spielt dahingehend eine Rolle, weil sie Unglaubliches für diese Stadt leistet. Wir brauchen die Leistung bisher, aber auch den Anspruch an die Zukunft.
Zurück zu den Bundes-Grünen: Würden Sie Geld darauf wetten, dass sie es bei der nächsten Wahl wieder in den Nationalrat schaffen?
Geld nicht, aber eine gute Flasche Gin. Die kann man dann beim Wiedereinzug gemeinsam trinken.