Warum Spitalsärzte weiter länger arbeiten dürfen
Von Josef Gebhard
Das Timing war – vorsichtig formuliert – suboptimal: Erst vor Kurzem forderte die Wiener Ärztekammer eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für die Ärzte in den Wiener Gemeindespitälern. Wenige Tage später wurde bekannt, dass zumindest die dortigen Anästhesisten wegen der Personalnot künftig nicht kürzer, sondern länger arbeiten dürfen.
Im Rahmen einer bis Jahresende gültigen Betriebsvereinbarung können die Ärzte wie berichtet auf freiwilliger Basis statt 48 bis zu 55 Stunden pro Woche arbeiten. Abgesehen von der Abgeltung der anfallenden Überstunden ergeben sich für die Mediziner, die einwilligen, keine finanziellen Vorteile.
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Das Pikante daran: Die Vereinbarung trägt auch die Unterschrift von Gerald Gingold, oberster Ärzte-Personalvertreter im Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) und bis zum Vorjahr Vizepräsident der Wiener Ärztekammer.
Groll der Kollegen
Ihn trifft nun der Groll seiner Kammer-Kollegen. Gingold habe schlecht verhandelt heißt es, er hätte sich das Ja zur Arbeitszeit-Ausweitung in Form einer großzügigen Erhöhung der Ärzte-Gehälter abkaufen sollen.
Das Thema hat Potenzial, die sei Monaten tobenden internen Grabenkämpfe in der Wiener Standesvertretung erneut anzufachen und wird wohl auch noch Nachwirkungen auf die Personalvertretungswahlen im kommenden Jahr haben. Gingold selbst war am Mittwoch nicht erreichbar.
Dabei ist es in anderen Bundesländern bzw. Spitalsträgern durchaus üblich, auf freiwilliger Basis bis zu 55 Wochenstunden zu arbeiten. Möglich macht das eine überaus großzügige österreichische Auslegung der EU-Vorgaben für die Arbeitszeit von Spitalsärzten.
Österreichische Lösung
Nach langen Verzögerungen wurde 2014 die EU-Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt, wonach Spitalsärzte durchschnittlich maximal 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Davor waren bis zu 72 Stunden gesetzlich erlaubt.
Es wäre nicht Österreich, hätte sich der Gesetzgeber nicht für äußerst großzügige Übergangsfristen entschieden, die nach ihrem Auslaufen 2021 sogar noch verlängert wurden.
Mit der damaligen Novelle gilt: Bis 2025 dürfen die heimischen Spitalsärzte weiterhin bis zu 55 Stunden arbeiten – auf Basis einer Betriebsvereinbarung und der Zustimmung der Personalvertreter. Bis 2028 ist dann eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von immerhin noch 52 Stunden erlaubt.
Nutzen fraglich
Zurück nach Wien: Noch offen ist, ob die freiwillige Arbeitszeit-Ausweitung bei den Anästhesisten überhaupt den gewünschten Effekt bringt. Besonders bei den älteren und den ganz jungen Kollegen dürfte die Bereitschaft, unter solchen Konditionen länger zu arbeiten, eher überschaubar sein, ist aus Spitalskreisen zu vernehmen.