Politik/Inland

Warum das Internet die Wahl im Herbst mitentscheidet

Im Internet ist die Welt verkehrt: Würden die Bürger im Netz die Nationalratswahl im Herbst allein entscheiden, würde Österreich vom Team Stronach und den Neos regiert und Heinz-Christian Strache wäre Bundespräsident.

Drei Millionen Mitglieder hat das soziale Netzwerk Facebook aktuell in Österreich, 1,1 Millionen zählte im August Google+, fast 100.000 sind es bei Twitter. Kein Wunder, dass Parteistrategen und Politiker zunehmend auch im Internet Wähler fischen.

„Im Moment ist die Schlagzahl erhöht. Die Postings auf Facebook häufen sich, weil ich im Wahlkampf mehr Termine habe“, sagt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Während sie bereits seit dem Jahr 2009 bei Facebook ist und fast 4000 „Gefällt mir“-Clicks gesammelt hat, verzichten die meisten der SPÖ-Kollegen auf die sozialen Medien. Ein bis zwei Mitarbeiter unterstützen die Ministerin dabei, innerhalb eines Tages versucht sie, auf Anfragen zu antworten. Für Heinisch-Hosek ist es vor allem ein Informationskanal: „Es ist auch ein Nachweis, was wir als Politiker alles tun.“

Kleine ganz groß

Auch in den Parteizentralen wird seit Wahlkampfbeginn intensiver gepostet und getwittert. Neue Plakate, Wahlkampfauftritte und positive Presseberichte werden unter das Netz-Volk gebracht. Vor allem die Politneulinge vom Team Stronach und den Neos sind sehr umtriebig – und lassen die alten Parteien im Netz alt aussehen: Auf Facebook ist das Team Stronach die beliebteste Partei Österreichs, bei Twitter sind es die Piraten.

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„Wir bekommen täglich mehr als 100 Anfragen über die sozialen Netzwerke“, erzählt Rouven Ertlschweiger vom Team Stronach. Drei Leute betreuen die mehr als 25.000 Facebook-Freunde, Antworten gibt es umgehend. „Unsere Zielgruppe nutzt das Internet sehr intensiv, daher sind die sozialen Medien für uns sehr wichtig“, sagt auch André Igler von den Piraten. Und noch einen zentralen Vorteil hätten Twitter, Facebook und Google+: „Sie sind gratis.“

„Völlig neues Spiel“

Während die Großparteien für den Wahlkampf je sieben Millionen Euro veranschlagt haben, will die Kleinpartei Neos mit einem Budget von 1,3 Millionen den Einzug ins Parlament schaffen – auch dank der sozialen Medien. „Wir wollen bis zum Wahltag die Nummer eins auf Facebook werden und 35.000 bis 40.000 Freunde haben“, erzählt Parteigründer Matthias Strolz. Das sei ein Fünftel der angestrebten 200.000 Wählerstimmen. Daher seien für Neos die sozialen Medien „extrem wichtig.“ Strolz: „Es ist ein völlig neues Spiel. Bei der letzten Wahl 2008 gab es in Österreich 300.000 Facebook-Nutzer. Jetzt sind es drei Millionen.“

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136.860 davon sind Fans von Heinz Christian Strache. Während die Partei weder ein offizielles Facebook- noch Twitter-Konto hat, ist Strache der beliebteste Politiker im Netz. „An manchen Tagen bringe ich es auf zehn bis 15 Einträge“, erzählt er. Die verfasst er meist am Rücksitz seines Autos – am Weg zum nächsten Termin. Facebook ist für ihn „eine Plattform zur Information und Diskussion abseits der Zensur.“ Aber nicht alles, was er postet, ist politisch. „Ich verlinke etwa auch Musikvideos, damit die Leute sehen, was mir gefällt.“ Ihm gehe es darum, „dass meine Freunde auch den Menschen HC Strache kennenlernen“.

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter hat Peter Pilz mit knapp 8000 „Followern“ die Nase vorn: „Twitter ist das Medium der Professionisten. Dort erreiche ich Politiker oder Journalisten.“ Im Wahlkampf will er verstärkt auf Schlüsselbotschaften setzen: „Dank Social Media kann man abseits der Parteizentralen Themen setzen.“ Warum er lieber twittert? „Ich liebe die Geschwindigkeit, die unmittelbare Reaktion.“

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Und auch Sebastian Kurz, beliebtester ÖVP-Politiker auf Facebook (28.500 „Gefällt-mir“), schätzt die Möglichkeit, unkompliziert zu kommunizieren: „Leute, die was zu sagen haben, können mich und mein Team ohne viele Hürden sehr direkt erreichen.“ Er findet die sozialen Medien generell gut: „Entscheidend ist aber , dass man den Großteil selbst macht, sonst bringt das nix.“

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Wie man erfolgreich über das Internet Wahlkampf führen kann, hat US-Präsident Barack Obama schon 2008 eindrucksvoll bewiesen. In Österreich haben die Parteien aber immer noch Nachholbedarf.

„Leider hat sich seit dem Nationalratswahlkampf 2008 nicht viel geändert. Die österreichischen Parteien begreifen soziale Medien immer noch nur als lästige Pflichtaufgabe und nicht als ernst zu nehmendes Medium, um mit Wählern in Kontakt zu treten“, sagt Karim Bannour, Geschäftsführer der Agentur viermalvier.at, dem KURIER. Soziale Medien würden im Wahlkampf zwar punktuell stärker eingesetzt, aber oft falsch. So würden die Parteien oft den Fehler machen, einfach eine Pressemeldung und parteibuchkonforme Aussage nach der anderen rauszuschießen. „So etwas funktioniert auf Facebook und Twitter aber nicht. Vielmehr muss man gerade auf diesen Plattformen genau zuhören, was die Menschen bewegt und ihnen durch Interaktion das Gefühl geben, gehört und miteingebunden zu werden“, sagt Bannour.

Zielgruppen und Plattformen

Dass über das Internet Wähler angesprochen werden können, bestreitet heute niemand mehr. Laut der Social-Media-Expertin Judith Denkmayr von der Agentur Digital Affairs ist es vor allem die Zielgruppe der 19- bis 49-Jährigen, die über Facebook, Twitter und Co erreicht werden kann. Das Zielpublikum ist dabei von Plattform zu Plattform verschieden. „Die ganz Jungen sind beispielsweise weniger auf Facebook oder Twitter, die erreicht man besser via YouTube“, so Denkmayr. Auch die Zielgruppe 49+ sei immer häufiger im Social Web – wenngleich diese auch weiterhin besonders von den etablierten Kanälen wie Zeitungen, Plakaten und TV angesprochen werde.

Um Wechselwähler und Spätentschlossene zu überzeugen, ist es laut Experten entscheidend, diese über alle möglichen Wege, also auch das Internet, anzusprechen. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem prägnanten Beitrag oder einem witzigen Video Aufmerksamkeit zu erregen, sei in sozialen Medien wesentlich einfacher als in klassischen Medien, die derartige Inhalte filtern, meint Bannour.

Neue Parteien wie die Neos oder die Piraten nützen das Netz vor allem mangels fehlender Werbebudgets. Die Neos bekommen von Experten ein gutes Zeugnis für ihre Internet-Präsenz ausgestellt, was auch damit zu tun habe, dass sich unter den Parteibefürwortern Branchenprofis wie der Gründer der Agentur Super-Fi, Niko Alm, befinden. Auch das Team Stronach punktet im Web mit lockeren Umgangsformen und guter Erreichbarkeit. Von den etablierten Parteien sehr aktiv sind für Denkmayr die Grünen, die sich nicht zuletzt durch ihre „Part of the Game“-Spiele-App klar positioniert hätten, und ebenfalls schnell auf Anfragen reagieren würden. Dass die FPÖ auf eine eigene Facebook-Seite verzichtet, fällt aufgrund der Präsenz von HC Strache mit über 130.000 Facebook-Abonnenten kaum ins Gewicht. Unproblematisch ist diese Taktik laut Denkmayr aber nicht: „Alles steht und fällt mit dem Spitzenkandidaten und der Sympathie, die diesem vom Wähler entgegengebracht wird. Die FPÖ als Partei ist kaum sichtbar.“

Die Regierungsparteien tun sich noch schwer im Netz. Die ÖVP versucht derzeit verstärkt Facebook-Fans über Display-Werbung zu generieren. Ein Werbevideo mit geschönten Facebook- und Twitterzahlen sowie erfundenen User-Kommentaren sorgte gleich zu Wahlkampfbeginn für Unmut. Die SPÖ hat ihr Facebook-Waterloo nach einem missglückten Start der Bundeskanzler-Seite 2011 schon hinter sich. Laut dem Kommunikationsexperten Yussi Pick habe sich seither viel verbessert. Die Onlinekanäle würden aber immer noch hauptsächlich dafür verwendet, um für traditionelle Medien aufbereitete Botschaften zu verbreiten.

Wer ist mir am Nächsten, welche Partei soll ich wählen?

Um diese, zugegeben nicht immer einfache, Frage zu beantworten, gibt es viele Möglichkeiten: Man kann aufmerksam die politischen Diskussionen im Land verfolgen; man kann vor dem Wahlsonntag die Wahlprogramme studieren; man kann aber auch einfach auf www.wahlkabine.at gehen und dort einen Testlauf machen.

Seit mehr als zehn Jahren bietet das vom Institut für neue Technologien entwickelte Online-Tool Unentschlossenen die Möglichkeit, die eigene Gesinnung zu finden – oder zu hinterfragen.

25 Fragen gilt es zu beantworten, die Palette reicht diesmal von „Soll Österreich am Bankgeheimnis festhalten?“ über „Soll der Bundesrat als zweite Parlamentskammer abgeschafft werden?“ bis hin zu „Sollen Einkaufstaschen aus Plastik besteuert werden?“.

Eine Million Anfragen

Die Fragen wurden von den Parteien beantwortet und gewichtet, ein Expertenteam, an dem auch die KURIER-Innenpolitik beteiligt war, ordnete die Ergebnisse zusätzlich.

Bei der letzten Nationalratswahl 2008 wurde der gesamte Fragebogen 950.000-mal durchgeklickt. „Insgesamt bedeutet das, dass Bürger bei unserem Tool rund 25 Millionen Einzelfragen zu kontroversiellen Themen beantwortet haben“, sagt Martin Wassermair vom Institut für neue Technologien zum KURIER.

Wassermair legt großen Wert auf die Feststellung, dass die Wahlkabine keine Wahlempfehlung abgibt. Tatsächlich wirft das Programm nur eine „Rangliste“ aus, welche Partei am besten zu den gegebenen Antworten passt.

Wassermair: „Man darf nie vergessen, dass die im Ergebnis enthaltenen Unterschiede sich nur auf 25 Fragen stützen. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Partei spielen bekanntlich aber noch viele andere Faktoren eine wichtige Rolle. Man denke etwa an die Persönlichkeit einzelner Kandidaten. “

Die Wahlkabine für die Nationalratswahl 2013 ist seit heute, Sonntag, online.