Vier Jahre nach Ibiza: Ein Video mit vielen Folgen
Um Punkt 18 Uhr platzte am Freitag, 17. Mai 2019, eine politische Bombe: Süddeutsche und Spiegel veröffentlichen auf ihren Websites ein Video, das Heinz-Christian Strache – damals Vizekanzler einer türkis-blauen Regierung – in einer Finca auf Ibiza zeigt. Der Inhalt ist weitgehend bekannt, strafrechtlich ist bis dato nichts herausgekommen.
Viel spannender wurde es durch eine anonyme Anzeige, die kurz nach dem Ibiza-Video auftauchte: Sie ist der Ausgangspunkt für die umfangreichen Ermittlungen zur Beinschab-Causa (siehe rechts), zu möglichen Interventionen von Vermögenden in Steuerangelegenheiten, zu mutmaßlicher Inseratenkorruption und zu Postenschachervorwürfen.
Zwei U-Ausschüsse
Im Fokus steht bei alledem heute aber weniger, wie man es sich nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos hätte denken können, die FPÖ, sondern die ÖVP.
Die oben genannten Ermittlungen führten nicht zuletzt zum Rücktritt des damaligen türkisen Bundeskanzlers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel. Vor allem die beiden Untersuchungsausschüsse, die sich mit den Vorkommnissen rund um den heute so bezeichneten Ibiza-Komplex beschäftigten, haben die ÖVP in den Fokus gerückt. Die Volkspartei sei „wesentlich dicker im Spiel“ gewesen als die FPÖ; jedenfalls mehr, als man es erwartet habe, fasste SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer zum Abschluss des ersten, sogenannten Ibiza-U-Ausschusses, zusammen. Auch der Verfahrensrichter erwähnte in seinem Abschlussbericht ein „Abhängigkeitsverhältnis zwischen ÖVP, FPÖ und Novomatic“. Die Bestellung von Peter Sidlo als Casag-Finanzvorstand sei „sehr wahrscheinlich das Ergebnis von Hintergrunddeals“.
Die anderen Fraktionen sahen das – mit Ausnahme der ÖVP selbst – ähnlich. In der Folge wurde der sogenannte ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss eingesetzt. An dessen Ende erkannte der Verfahrensrichter jedenfalls Anhaltspunkte für politische Einflussnahme auf Steuerverfahren.
Was hat sich nun seit dem folgenschweren 17. Mai 2019 geändert? Die grüne Justizministerin brachte schon am ersten Jahrestag der Ibiza-Affäre eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts aufs Tapet. Lücken, die die Causa aufgezeigt hat, sollten geschlossen werden. Erst Anfang 2023 einigte man sich mit der ÖVP auf einen Gesetzesentwurf, und auch der scheint schon wieder in einer Schublade verschwunden zu sein: Die Begutachtungsfrist hat im März geendet, beschlossen wurde das Gesetz bis dato nicht.
Und die FPÖ? Die ist bei der Nationalratswahl 2019 von 26 auf 16,2 Prozent abgestürzt. Aktuell liegt sie in Wahl-Umfragen mit fast 30 Prozent auf dem ersten Platz.
Fast so, als hätte es den 17. Mai 2019 nie gegeben.
17. Mai 2019
Spiegel und Süddeutsche veröffentlichen das Ibiza-Video, das im Sommer 2017 aufgenommen wurde. Am nächsten Tag tritt FPÖ-Vizekanzler Strache zurück, Kanzler Kurz verkündet das Ende von Türkis-Blau
Sommer 2019
Eine anonyme Anzeige löst Ermittlungen zur Casinos-Causa aus, es folgen mehrere Hausdurchsuchungen – u. a. bei Ex-ÖVP-Intimus Schmid, der sich zwei Jahre später der WKStA als Kronzeuge andient
Dezember 2019
Der Ibiza-U-Ausschuss startet, ein weiterer folgt Ende 2021
Oktober 2021
Ermittlungen zum Beinschab-Tool) werden publik, Kurz ist Beschuldigter und tritt zurück
Juli 2022
Strache wird im mittlerweile zweiten Korruptionsprozess freigesprochen