Politik/Inland

Türkis-blaue Sozialhilfe: Höchstsätze für Kinder verfassungswidrig

Der Verfassungsgerichtshof bringt ein weiteres Prestigeprojekt der an Ibiza gescheiterten türkis-blauen Bundesregierung zu Fall. Aufgehoben wurden beide bei der Reform der Mindestsicherung gegen Zuwanderer gemünzten Maßnahmen der „Sozialhilfe neu“: Sowohl die Verknüpfung mit Sprachkenntnissen wie auch Höchstsätze für Kinder sind laut VfGH verfassungswidrig.

Im Grundsatzgesetz selbst sieht der VfGH aber keinen unzulässigen Eingriff in die Zuständigkeit der Länder. Zwar sei die Gewährung von Leistungen bei sozialer Hilfsbedürftigkeit „an sich Sache der Länder“. „Der Bund ist jedoch zuständig, auf diesem Gebiet Grundsätze für die Landesgesetzgebung aufzustellen“, hieß es in einer Pressemitteilung am Dienstag.

Die Neuregelung der  Mindestsicherung brachte für Familien mit mehreren Kindern Kürzungen durch eine Staffelung pro Kind: Für das erste Kind war ein Sozialhilfe-Satz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (2019: 233 Euro), für das zweite Kind 15 Prozent (2019: 140 Euro) und ab dem dritten Kind hätte es nur 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (2019: 46,6 Euro). Die erzielbare Gesamt-Summe wäre damit für große Familien im Vergleich zum bisherigen Modell deutlich gesunken.

 

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Der VfGH sagt daher: "In dieser Regelung liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte und daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien; insbesondere kann diese Regleung dazu führen, dass der notwendige Lebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet ist."

Zuwanderer hätten mit der türkis-blauen Mindestsicherung neu nur 65 Prozent der regulären Leistung - also rund 300 Euro weniger - bekommen. Den vollen Betrag hätte es erst ab Deutsch-Niveau B1 oder Englisch-Niveau C1 gegeben. Das hat der VfGH aufgehoben. Es sei offenkundig, dass Personen aus vielen Gründen ein derart hohes Sprachniveau nicht erreichen und dennoch auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind.

Gut für grüne Verhandlung

Politisch gesehen ist mit diesem Erkenntnis ein großer Brocken auf dem Weg zu Türkis-Grün aus dem Weg geräumt. Denn die Grünen pochen seit geraumer Zeit auf ein Paket gegen die Kinderarmut, um die nun gekippte Mindestsicherungs-Reform auszugleichen. Das dürfte nun mehr oder weniger hinfällig sein. Denn der Bund muss sein Grundsatzgesetz reparieren und könnte sich beispielsweise an den Modellen von Tirol und Vorarlberg orientieren. Diese hatten vor dem Höchstgericht Bestand.

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Die Freude ist aber nicht nur bei den Grünen groß. Auch in Wien, das sich von Anfang an gegen die türkis-blaue Regelung gestemmt hatte, ist der Jubel nicht zu überhören. "Sieg auf der ganzen Linie", hieß es beispielsweise im Büro von Stadtrat Peter Hacker. Bürgermeister Michael Ludwig sagte: "Jetzt liegt der Ball wieder beim Gesetzgeber. Ich hoffe, die neuen politischen Rahmenbedingungen im Bund werden ein neues Gesetz ermöglichen, das die Bedenken Wiens berücksichtigt und keine Regelung auf dem Rücken der Ärmsten zulässt.“

"Wir können die Entscheidung absolut nicht nachvollziehen und sie widerspricht vollkommen unseren politischen Überzeugungen. Aber Entscheidungen des VfGH sind in einem Rechtsstaat, auch wenn man sie inhaltlich ablehnt, endgültig", so reagierte ÖVP-Klubchef August Wöginger. Er hatte die Mindestsicherungs-Reform maßgeblich mitverhandelt.

 

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