Studie: Krisen haben Verschwörungsmythen und Antisemitismus befeuert
Von Johanna Hager
Der erfreuliche Trend der Vorjahre ist vorbei. Zu diesem Schluss kommt die dritte Studie im Auftrag des Österreichischen Parlaments, die sich umfangreich dem Themenkomplex Antisemitismus widmet. 2.000 Personen über 16 Jahren wurden dafür von IFES und Demox Research befragt.
Vergleicht man die Ergebnisse 2018 und 2020 mit der nun veröffentlichten Studie aus 2022, so zeigt sich, dass der Antisemitismus nach rückläufigen Tendenzen während der Corona-Pandemie wieder auf dem Niveau von 2018 ist. Teilweise wurden die Werte übertroffen.
Zurückzuführen ist das laut Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Eva Zeglovits (IFES) und Thomas Stern (Braintrust) auch auf die jeweiligen Zeitpunkte der Erhebung.
2018 herrschte gleichsam "Normalität", wie es die Studienautoren umschreiben. Zwei Jahre später veränderte sich die Haltung - insbesondere auch durch die Pandemie und den Terroranschlag in Wien im November 2020 (wiewohl zum Zeitpunkt der Befragung nicht klar war, ob sich das Attentat gegen jüdische Einrichtungen richtete). Sind die antisemitischen Haltungen respektive Einstellungen 2020 geringer, so sind sie im Vorjahr wieder gestiegen.
Die Ursachen dafür lassen sich laut Studienautoren unter anderem auf "multiple Krisen" zurückführen. Gemeint sind damit nicht nur Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimawandel, Energie-Krise und die anhaltende Teuerung, sondern insbesondere auch der Vertrauensverlust in Politik und Medien.
"Krisen befeuern Verschwörungsmythen, die wiederum sehr häufig in einem engen Zusammenhang mit Antisemitismus sehen", so die Studienautoren. "Die aktuellen Krisen könnten sich also auf den Antisemitismus auswirken".
So geben 73 Prozent der Befragten an, die politische Situation in Österreich gehe eher in die falsche Richtung. Exakt so viele Befragte geben an, dass Antisemitismus ein Problem darstellt, dass die Gesellschaft als Ganzes betrifft. Sechs Prozent erachten es als ein Problem der Juden selbst.
Antisemitismus in sozialen Medien
Sechs von zehn Menschen geben in der Befragung an, bereits antisemitische Äußerungen gehört zu haben. Am häufigsten geschieht dies in sozialen Medien (37 %), gefolgt von Bekannten und Freunden (28 %) und in traditionellen Medien (24 %).
Unterschieden wird in der Studie wie in den Vorjahren zwischen manifestem Antisemitismus (Rassismus, Holocaustleugnung, Religion, Schuldumkehr), latentem Antisemitismus (israelbezogener Antisemitismus, Macht und Verschwörung) sowie Non-Antisemitismus (moralische Verpflichtung, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen, Sensibilität für Anfeindungen in Krisen).
Manifester Antisemitismus ist von 13 Prozent (2018) auf 15 Prozent (2022) gestiegen, latenter Antisemitismus von 28 auf 32 Prozent und Non Antisemitismus von 49 auf 54 Prozent.
Vergleicht man diese Kategorien innerhalb der Gesamtstichprobe mit Personen, die entweder in der Türkei oder einem arabischen Land geboren wurden oder deren Eltern dort geboren wurden, so verändert sich das Bild. (Anm.: Die arabischsprachigen Befragten haben eine familiäre Migrationsgeschichte, die in Ägypten, Syrien oder dem Irak ihren Ausgang genommen hat).
Die von den Studienautoren als "Aufstockungsgruppe" Bezeichneten - sie sind mehrheitlich in Österreich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen - weisen in allen drei Kategorien weitaus höhere Werte auf. Am deutlichsten wird dies bei Fragestellungen, die den israelbezogenen Antisemitismus betreffen.
Der Aussage: "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten" stimmen 14 Prozent der Befragten "voll und ganz" und "eher schon" zu. Bei der Aufstockungsgruppe sind es 47 Prozent.
Ähnlich die Relation bei der Aussage: "In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt". 56 Prozent stimmen dem überhaupt nicht zu. Bei der Aufstockungsgruppe sind es 22 Prozent.
Die unbefangene Grundeinstellung zu jüdisch gläubigen Menschen - also Non Antisemitismus - ist laut Befragung weiter verbreitet als Antisemitismus. 65 Prozent geben an, dass "Juden viel zum kulturellen Leben Österreichs beigetragen haben".
Bildung und Verschwörungstheorien
Die Umfragen zeigen weiters, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsabschluss und Antisemitismus gibt. Menschen mit höherer formaler Bildung weisen weit geringere antisemitische Haltungen und Tendenzen auf als jene Menschen, die einzig einen Pflichtschulabschluss haben.
Zu bedenken gilt es hierbei allerdings, dass die besser Gebildeten auch eher zu sozial erwünschten Antworten tendieren, wie die Studienautoren schreiben.
Einen wesentlichen Zusammenhang scheint es auch zwischen Antisemitismus und dem Glauben an sogenannte Verschwörungstheorien zu geben. Antisemitismus und Antiamerikanismus gehen laut Studie dabei Hand in Hand. Je mehr die USA als Gefahr für den Weltfrieden wahrgenommen werde, desto stärker auch der Antisemitismus.
Verantwortung, gegen Antisemitismus aufzutreten und ihm Einhalt zu gebieten, haben laut Studie alle. 89 Prozent sagen, dass jeder einzelne gegen Antisemitismus etwas tun kann. 84 Prozent sehen die Medien, 81 Prozent die Politik und ebenso viele die Schulen in der Pflicht.