Strache-Prozess: Aufsichtsratslisten zwischen "Frauenquote" und "Letztcheck"
Zeugenschaftlich vernommen wurden zunächst Philipp Trattner, unter Türkis-Blau Referent im Kabinett von Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache und jetzt Sektionschef im Sportministerium, sowie Hartwig Hufnagl, seinerzeit stellvertretender Kabinettschef im Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie unter Norbert Hofer (FPÖ) und seit 1. Februar 2019 Asfinag-Vorstandsdirektor. Am Nachmittag folgten der Finanzvorstand der ÖBB-Holding, Arnold Schiefer, und Gilbert Trattner, Ex-Aufsichtsratsvorsitzender der ÖBB-Holding und Ex-FPÖ-Abgeordneter.
Letzter berichtete, dass Stieglitz eines Tages bei ihm erschienen sei "mit der Erwartungshaltung, dass ich ihm bei der Holding etwas zusagen konnte. Ich konnte nichts machen." Stieglitz, den er bis dahin nicht kannte, habe "geglaubt, er kommt in den Aufsichtsrat der ÖBB-Holding. Ich hab' ihm gesagt, der Aufsichtsrat der Holding ist komplett. Es ist nix frei", erinnerte sich Trattner.
Offenbar dürfte - von wem auch immer - im Vorfeld Stieglitz ein Posten bei den ÖBB in Aussicht gestellt bzw. garantiert worden sein. Darauf deuten jedenfalls Chat-Unterhaltungen zwischen Strache und Hofer hin, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sichergestellt hatte. "Er (Stieglitz, Anm.) hat fix damit gerechnet", hieß es da, an anderer Stelle "Es wurde ihm (Stieglitz, Anm.) fix zugesagt". Hofer selbst hielt in einer Nachricht an Strache fest: "Trattner weiß Bescheid. Er kennt den Wunsch." Mit diesen Chats konfrontiert, stellte Trattner als Zeuge unter Wahrheitspflicht fest: "Ich hab' davon gar nichts gewusst."
Er habe allerdings Stieglitz statt der Holding "ein freies Mandat im Postbus" (seit 2003 ein Tochterunternehmen der ÖBB, Anm.) offeriert, räumte Trattner ein: "Das wollte er nicht. Er war ganz versessen auf die Holding." Dazu bemerkte Stieglitz auf Befragen der Richterin: "Das ist schon meine Entscheidung, wo ich meine Lebenszeit verbringe." Die Postbus AG sei "eine Unterorganisation der ÖBB", wo auch "das Monetäre nicht Schritt halten" könne mit dem Aufwand.
Für ihn sei es grundsätzlich nicht nachvollziehbar, "dass es als negativ dargestellt wird", weil er Aufgaben in staatsnahen Betrieben übernehmen wollte, monierte Stieglitz. "Dass man strebsam ist, ist doch etwa Positives", hielt er fest.
Er sei mit Stieglitz befreundet gewesen, hatte zuvor Asfinag-Vorstandsdirektor Hufnagl erklärt: "Wir sind gemeinsam zum Fußballspiel gegangen und haben das eine oder andere Bier getrunken." Er habe für Stieglitz aber nicht interveniert, als dieser Aufsichtsrat der Asfinag und später bei der ÖBB-Holding werden wollte. Diese Männer-Freundschaft belegte auch die Staatsanwältin, indem sie Hufnagl damit konfrontierte, dass Stieglitz am 31. Jänner 2019 - am Abend bevor er sein Amt als Asfinag-Vorstandsdirektor antrat - für Hufnagl ein "Fest mit 20 Personen" im Hotel Intercontinental gegeben hätte. "Die Bezeichnung 'Fest' ist übertrieben", hielt Hufnagl entgegen. Stieglitz habe ihn "auf ein Glas Bier eingeladen. Es waren einige Personen dort". Er habe "ein, zwei Bier getrunken", wer die Zeche übernahm, wisse er nicht mehr.
Im Intercontinental war auch der im Sommer 2019 aus der FPÖ ausgetretene ÖBB-Manager Schiefer dabei - "kurz, zehn Minuten", wie er auf dem Zeugenstuhl deponierte. Stieglitz habe er bis dahin persönlich nicht gekannt: "Vielleicht dass ich ihn vorher irgendwo vorbeihuschen gesehen habe." Er habe mit ihm im Hotel Telefonnummern ausgetauscht, Stieglitz aber danach nicht angerufen und sei seiner Erinnerung nach auch nicht von diesem kontaktiert worden.
Auf die Frage, ob er sich für Stieglitz eingesetzt habe, erwiderte Schiefer launig: "Beim Thema Asfinag sicher nicht. Höchstens die Staatsanwältin findet wieder eine SMS." Aus Stieglitz' Ambitionen, bei den ÖBB zu landen, sei nichts geworden, weil der Aufsichtsratsvorsitzende der Holding, Gilbert Trattner, "lieber einen Steuerberater" wollte. Er sei in diese Überlegungen aber nicht eingebunden gewesen. Auf die Frage, ob Stieglitz für den Posten bei den ÖBB qualifiziert gewesen sei, entgegnete Schiefer: "Wenn jemand in der Privatwirtschaft erfolgreich ist, wird er nicht ganz patschert sein." Außerdem sei Stieglitz "reicher als ich".
Hufnagl hatte seinerzeit im Kabinett von Hofer von dessen Kabinettschef Rene Schimanek eine Liste von möglichen von der FPÖ zu nominierenden Aufsichtsrat-Stellen bekommen. "Meine Aufgabe war es, den Letztcheck zu machen", sagte er. Der von ihm telefonisch kontaktierte, auf der Liste befindliche Stieglitz habe großes Interesse am Mandat in der Asfinag erkennen lassen: "Die Prüfung seiner Qualifikation war nicht meine Aufgabe." Er habe dessen Namen "ans Beteiligungs-Management weitergegeben." Mit dem Bestellungsvorgang an sich habe er nichts zu tun gehabt. Auf die Frage, wie sich Stieglitz im Asfinag-Aufsichtsrat geschlagen habe, erwiderte Hufnagl: "Er war sehr, sehr gut vorbereitet. Er war sehr engagiert und hat durchaus seine Expertise im Bereich Immobilien aufblitzen lassen." Stieglitz sei für das Mandat "durchaus geeignet" gewesen.
Als sich Stieglitz auch für den Aufsichtsrat in der ÖBB-Holding zu interessieren begann, habe er diesem "sicher keine Unterstützung zugesagt", meinte Hufnagl. Mehrere an ihn gerichtete Chat-Nachrichten des Immobilienunternehmers, die anderes nahelegten ("Schau mir bitte, dass es die Holding wird") kommentierte Hufnagl damit, dass Stieglitz "sehr umtriebig" gewesen sei. Diesem sei "massiver Geltungsdrang, weitere Aufgaben zu erfüllen" eigen gewesen: "Ich habe mich nicht darum gekümmert." Stieglitz dürfte sogar versucht haben, über die FPÖ-Schiene auch noch seinem Bruder ein Aufsichtsrat-Mandat bei der Asfinag zu verschaffen, wie die Staatsanwältin mit einer Reihe von sichergestellten Chats darlegte. Laut Stieglitz soll dieses Unterfangen von Hufnagl ausgegangen sein, der seinem Bruder gesagt habe, "dass er ihn bei der Asfinag braucht".
Das Auswechseln von Aufsichtsräten unter Türkis-Blau habe "so wie bei der jetzigen Regierung und jeder vorigen Regierung auch" stattgefunden, das sei "ganz üblicher Usus", hatte davor Philipp Trattner angegeben, seinerzeit Referent im Kabinett des Vizekanzlers Strache. Für diesen führte er sogenannte Aufsichtsrat-Listen für vakant werdende, der FPÖ zustehende Posten in staatsnahen Betrieben.
Auf die Frage nach der Qualität dieser Listen, meinte Trattner: "Es gab Parameter, die wir uns selbst auferlegt haben." Man habe "auf die Frauenquote" und darauf geachtet, "dass die Qualifikation zum Geschäftsfeld passt". Außerdem habe man keine "Ämterkumulierung" haben wollen, da in dieser Hinsicht die zahlreichen Posten des Ex-Wirtschaftsministers Harald Mahrer (ÖVP) damals breit medial erörtert wurden, "der in acht oder neun Aufsichtsräten war".
Stieglitz, den er "heute das erste Mal physisch" sehe, sei auf einer handschriftlich von ihm geführten DIN-A4-Liste gelandet, legte der Zeuge dar. Dieser sei qualifiziert gewesen, verwies Trattnig auf Stieglitz' "Expertise im Immobilien- und Energie-Bereich". Dass dieser dann bei der Asfinag zum Zug kam, habe er erst im Nachhinein erfahren, hielt der Zeuge fest.
Allerdings dürfte Trattner an den Bemühungen Stieglitz' um Sitze in der ÖBB-Holding und beim Verbund beteiligt gewesen sein oder zumindest davon gewusst haben, wie sichergestellte Chat-Nachrichten von ihm an Strache nahe legen. "Sigi bekommt den nächsten freien Sitz in der Holding", hieß es in einer Nachricht, wenig später "Sigi wird in den Verbund entsandt".
Hinsichtlich der ersten Nachricht erklärte Trattner: "Das dürfte zwischen anderen Personen besprochen worden sein. Das wusste ich. Das hatte ich von Dritten mitbekommen." Er selbst habe sich nicht für Stieglitz in der ÖBB eingesetzt, da sein Vater dort in führender Funktion tätig gewesen sei. Er habe sich aufgrund dessen bewusst aus den ÖBB herausgehalten, um keine mediale Angriffsfläche zu bieten. Zur zweiten, den Verbund betreffenden Nachricht bemerkte Trattner: "Das weiß ich nicht mehr, warum ich das so geschrieben habe."
Strache wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Bestechlichkeit, Stieglitz Bestechung vorgeworfen. Laut Anklage soll Strache Stieglitz für in mehrere Tranchen gestückelte Spenden an den FPÖ-nahen Verein "Austria in Motion" einen Asfinag-Aufsichtsratsposten verschafft haben. Ende Februar 2020 wurde Stieglitz von der zuständigen Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) als Asfinag-Aufsichtsrat abberufen. Strache und Stieglitz bestreiten die wider sie erhobenen Vorwürfe vehement. Stieglitz hatte weder ein Mandat bei der ÖBB-Holding noch beim Verbund erhalten.