Sozialversicherung: „Eine Strukturreform, keine Gesundheitsreform“
Von Daniela Kittner
Das Selbstlob fällt nicht allzu knapp aus.
„Es handelt sich um eines der größten Reformprojekte in der Geschichte Österreichs“, sagt Kanzler Sebastian Kurz.
Es geht um die
Sozialversicherung. Am Dienstag präsentierte die türkis-blaue Regierung die Eckpunkte ihrer Umbaupläne. Dabei gab der Kanzler unumwunden zu: „Wir leisten damit keine Gesundheitsreform, sondern eine Struktur- und Verwaltungsreform.“
An Spareffekten erwartet die
Regierung eine Milliarde, kumuliert bis 2023. Das sind im Schnitt 200 Millionen pro Jahr. Bei einem Umwälzungsvolumen von 18,5 Milliarden pro Jahr im Krankenversicherungsbereich (siehe Grafik) wäre das knapp ein Prozent Einsparung.
Abbauen wird die Regierung die Anzahl der Funktionäre, die im Rahmen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung tätig sind. Statt 2000 soll es 400 geben. Geld spart das kaum. 3,6 Millionen kosten die 2000 Funktionäre pro Jahr, eine Reduktion um 80 Prozent spart 2,9 Millionen. Die Zahl der Generaldirektoren soll von 21 auf 5 bis 6 sinken. Die Regierung ändert auch das Kräfteverhältnis innerhalb der Selbstverwaltung: Arbeitgeber haben mehr, Arbeitnehmer weniger zu reden.
Fix sind vier Sozialversicherungsträger:
– 1. Träger: Die Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK wird aus den derzeitigen neun Gebietskrankenkassen hervor gehen. Sie wird stärker zentralisiert sein, als die Länder das wollten. Laut Vizekanzler
Heinz-Christian Strache wird die ÖGK Personal- und Budgethoheit haben. Sie wird die Versicherungsbeiträge zentral einheben und den Landesstellen Budgets zuteilen. Bisher haben die Landes-GKK die Beiträge selbst eingehoben und ausgegeben. Sie haben alljährlich mit den Ärzten für jedes Land einzeln die Kassenverträge ausgehandelt, künftig gibt es einen Generalvertrag, den die ÖGK mit der Bundes-Ärztekammer abschließt. Neue regionale Zuschläge sollen Kassenärzte aufs Land locken.
– 2. Träger: Die Beamtenversicherungwird die VAEB (Eisenbahn und Bergbau) schlucken.
– 3. Träger: Eine Selbstständigenkasse SVSwird aus der Fusion von Bauern und Selbstständigen entstehen.
Alle genannten neuen Träger müssen die Gesundheitsleistungen ihrer künftigen Klientel angleichen. Das heißt: gleiche Leistungen für Bauern und Selbstständige; gleiche Leistungen für Beamte und Eisenbahner; gleiche Leistungen für alle ÖGK-Versicherten von Burgenland bis Vorarlberg.
Dass künftig alle Versicherten das gleiche, hohe Beamtenniveau bekommen, beabsichtigt die
Regierung nicht. Aber: Mehrfachversicherte können sich künftig ihre Versicherung aussuchen und bekommen Beiträge, die sie über die Höchstbeitragsgrundlage hinaus bezahlen, automatisch zurück.
– 4. Träger: Die
PensionsversicherungsanstaltPVA für Arbeiter und Angestellte
– Der 5. Träger, die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
AUVA,wackelt. Die Regierung stellt der AUVA ein Ultimatum bis 31. August. Bis dahin muss sie Pläne zur Einsparung von 500 Millionen (bei einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden) beschließen und nachweisen. Schafft sie das nicht, wird sie aufgelöst. Zitat aus dem Ministerratsvortrag: „Sollte dieses Ziel nicht erreicht werden, so sind gesetzliche Maßnahmen zu setzen, um die Leistungen der AUVA in die ÖGK- bzw. die Pensionsversicherungsanstalt überzuführen.“ Das heißt für die Patienten: Unfallrenten würden von der PVA ausbezahlt, die Unfallkrankenhäuser und Reha-Zentren von der ÖGK verwaltet.
Kanzler Kurz betont, kein Krankenhaus oder Rehazentrum werde geschlossen.
Eines der Regierungsvorhaben ist verfassungsrechtlich umstritten: Ob Arbeitgeber die Sozialversicherung korrekt abführen, soll künftig „ausschließlich die Finanz“ prüfen. Das könnte dem Prinzip der Selbstverwaltung widersprechen.