Rosenkranz folgt auf Sobotka: "Kampf gegen Antisemitismus wird fortgesetzt“
Eine gute Stunde lief alles recht harmonisch ab, man könnte auch sagen: würdig und getragen. Bundes- und Europahymne waren gespielt, die Angelobungsformel verlesen und von allen 183 Abgeordneten unfallfrei mit „Ich gelobe“ quittiert worden.
Nationalrat angelobt, Übung gelungen, so der Zwischenstand. Bis es zum einzig strittigen Tagesordnungspunkt kam: der Wahl des Präsidiums im Nationalrat, und hier vor allem: der Wahl des Präsidenten.
Walter Rosenkranz ist neuer Nationalratspräsident
Gemäß den Usancen fiel den Freiheitlichen als nun stimmenstärkster Fraktion erstmals das informelle Recht zu, einen Kandidaten zu nominieren. Die Wahl von Herbert Kickl und der FPÖ fiel auf Walter Rosenkranz, einst Klubchef, zuletzt Volksanwalt.
Und Rosenkranz emotionalisiert – vor allem ob seiner Mitgliedschaft in einer deutschnationalen Burschenschaft und der deren Gesinnung, die etwa das Mauthausen-Komitee und die Israelitische Kultusgemeinde als rechtsextrem und anti-demokratisch kategorisieren.
Wie stark Rosenkranz polarisiert, wird vor allem bei der Rede von Werner Kogler deutlich. Der grüne Parteichef erinnert daran, dass sich Rosenkranz selbst als „Parteisoldat“ bezeichnet. „Der Soldat einer rechten Partei soll hier Präsident werden!“ Einer Partei, die keine Berührungsängste zu Rechtsextremen habe.
Und damit auch dem Letzten im Plenarsaal klar wird, wie unglaublich daneben Kogler und die Grünen das finden, kommt er auf den Begriff des „Volkskanzlers“. „Wer soll das sein, DAS Volk?“, fragt Kogler die FPÖ – und beantwortet seine Frage selbst: Es sei völlig klar, wohin das Gerede „vom Volk“ führe: „Zu ,Ein Volk, ein Reich, ein Führer“.
Aufruhr im Saal. Hat Werner Kogler bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrats gerade einen der zentralen Slogans der Nationalsozialisten gebracht? Er hat.
Man braucht keine weiteren Wortmeldungen, um zu wissen: Die Grünen waren und sind nicht für den Freiheitlichen zu gewinnen. An der Wahl ändert das am Ende nichts: Am späten Nachmittag wird Rosenkranz mit einer Zustimmung von 61,3 Prozent gewählt.
Walter Rosenkranz (FPÖ)
ist von 61,7 Prozent der Abgeordneten zum neuen Nationalratspräsidenten gewählt worden. Sein Ergebnis liegt klar unter dem von Vorgänger Wolfgang Sobotka vor fünf Jahren (88 %), aber knapp über jenem, das Sobotka bei seinem ersten Antritt erreichte (61,3 %).
Peter Haubner (ÖVP)
beerbt Doris Bures (SPÖ) als Zweiter Nationalratspräsident. Für Haubner stimmten 88,1 Prozent der Nationalratsabgeordneten.
Doris Bures (SPÖ) bleibt als Dritte Präsidentin dem Präsidium weiterhin erhalten, sie erhielt 74,9 Prozent.
Kickl und Lincoln
In der Aufregung geht an diesem historischen Tag ein anderes, nicht minder relevantes Thema beinahe unter. Denn während sich das Parlament neu konstituiert, ist die Republik mitten in der Suche nach einer neuen Bundesregierung. Und bei diesem Thema kommt man nicht umhin, sich mit Parteichef Kickl zu beschäftigen.
Der gibt sich an diesem ersten Plenartag der 28. Gesetzgebungsperiode betont staatsmännisch. „Demut“, sagt er, sei das vordringliche Gefühl, dass ihm der Wahlsieg abringe. Und dann zitiert er den großen Abraham Lincoln, der mit dem Satz bekannt wurde, dass die Demokratie die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk sei.
Als Kickl verspricht, sich in den Dienst der „wehrhaften Demokratie“ und der neutralen Republik Österreich zu stellen, blättert ÖVP-Chef Karl Nehammer konzentriert in seinen Unterlagen. Kann er Kickl diesmal vorhalten, was für gewöhnlich passt, nämlich: dass er allzu offensiv, ja aggressiv auftritt? Eher nicht.
Was also macht der Kanzler? Er greift das Beispiel Lincoln auf, und erinnert Kickl daran, dass Österreich – im Unterschied zu den USA – kein Mehrheits- sondern ein Verhältniswahlrecht habe. Und das wiederum bedeute: „Man muss Koalitionen bilden, aufeinander zugehen, Kompromisse finden.“ Und genau das, nämlich eine parlamentarische Mehrheit zu finden, sei Kickl nach der Wahl eben nicht gelungen.
Ausgestreckte Hand
Der frisch gewählte Nationalratspräsident Rosenkranz hingegen schickt sich in seiner ersten Rede an, Gräben zuzuschütten – findet dabei aber auch klare Worte für seine Kritiker. „Unterstellungen“ weist er zurück, „Horrorszenarien“ seien „unangebracht“. Er wolle ein konstruktives Miteinander leben. Auch der Kampf gegen Antisemitismus, den sein Vorgänger Wolfgang Sobotka so engagiert geführt hat, werde „fortgesetzt“, versichert er.
Sollten die Zweifel noch immer nicht ausgeräumt sein, und die jüdische Gemeinde „wie bisher den Dialog verweigern und Veranstaltungen wie zum Gedenken an die Reichspogromnacht boykottieren, dann stehe ich nicht an, auf die Seite zu treten“, so Rosenkranz’ Angebot. Seine Stellvertreter würden wohl anlassbezogen übernehmen.
Mit der Amtszeit Rosenkranz’ endet jene von Sobotka. Und viele Abgeordnete – darunter seine schärfsten Kritiker, die Neos – dankten ihm für seine Verdienste rund um die Sanierung des Parlaments und den Kampf gegen Antisemitismus. Zwei Themen, die Sobotka in seiner Abschiedsrede, die er mit einem großen Dankesreigen eröffnete, auch anspricht.
Für die Abgeordneten hat er noch einen Tipp parat: Theophil Hansen habe das Parlament so gebaut, dass es mit seinen unzähligen Gängen viele Runden gebe, die man gehen könne, um sein Gemüt abzukühlen. „Probieren Sie es. Ich habe es immer wieder probiert.“
Verabschiedet wurde Sobotka mit Standing Ovations.