Regierungskrise: Jetzt geht es auch um den Job des Kanzlers
Es gab viel, sogar sehr viel Erklärungsbedarf: Wann wird Innenminister Herbert Kickl entlassen? Wie soll die Expertenregierung zusammengesetzt werden? Und wann genau im September wird gewählt?
Antworten auf die brennenden Fragen blieb Kanzler Sebastian Kurz nach der Sitzung des ÖVP-Parteivorstandes am Montag schuldig – bis zum Abend.
Bei seiner vierten Pressekonferenz innerhalb von 48 Stunden gab Kurz erstmals seit Ausbruch der Staatskrise nicht nur knappe Statements ab, sondern beantwortete auch Fragen der Journalisten.
Entlassung
Wie angekündigt, wird Kurz dem Bundespräsidenten die „Entlassung von Innenminister Herbert Kickl vorschlagen“. Das erklärte der Kanzler am Abend – und das habe er, Kurz, Kickl auch „persönlich mitgeteilt.“ Da das den Rücktritt aller blauen Minister auslöst, werden die FPÖ-Ministerien bis zur Bildung der neuen Regierung „von Experten oder Spitzenbeamten übernommen.“
Des Kanzlers langes Schweigen über die nächsten Schritte hatte einen Grund: ein hohes Maß an Nervosität lag in der Luft. Am Montag nach dem Bruch von Türkis-Blau überschlugen sich die Ereignisse.
Das neue FPÖ-Spitzen-Duo Norbert Hofer und Herbert Kickl hielt eine Doppelconférence ab, bei der er Noch-Innenminister den Kanzler als „machtbesoffen“ bezeichnete. Bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen gaben sich die Parteichefs dann die Türklinke in die Hand. Im Hintergrund war schnell klar: Die Opposition will nun Kurz als Bundeskanzler mit einem Misstrauensantrag bei der Sondersitzung im Parlament stürzen. Die Taktik dahinter: Die Opposition möchte dem ÖVP-Chef keine internationale Bühne im Wahlkampf geben.
Kisten waren schon gepackt
Eingebracht wird der Misstrauensantrag von der Liste Jetzt, unterstützt wird er von der FPÖ, gute Chancen auf Unterstützung von der SPÖ hat er ebenfalls. „Wäre ich Abgeordneter, wäre es gut möglich, dass ich den Misstrauensantrag gegen Kurz unterstütze“, sagt einer der Noch-FPÖ-Minister. Ganz ähnlich Kickl: „Der Hausverstand sagt einem, dass es relativ schwer ist, von jemandem das Vertrauen zu verlangen, der einem gerade das Misstrauen ausgesprochen hat“.
Damit ist klar, wohin der blaue Weg führt. Die FPÖ will nicht mehr den Steigbügelhalter für Kurz spielen. Vorbei ist es mit der Loyalität. Schon am Montag packte die FPÖ-Ministerriege die Umzugskisten, wechselte Handynummern und wartete stündlich auf den Anruf, dass sie ihr Rücktrittsansuchen abschicken sollen.
„Vor der Öffentlichkeit sagt Kurz, dass die FPÖ nicht regieren kann. Am Tag nach dem Bruch ruft Kurz dann alle FPÖ-Minister an, um sich für die gute Zusammenarbeit zu bedanken, und stellt sogar eine Zusammenarbeit nach der Wahl in Aussicht. So ein Verhalten verstehen wir nicht“, sagt einer der FPÖ-Minister vergrämt.
Kalkül des Kanzlers
Hatte sich der Kanzler mit seiner Forderung, dass Kickl als Innenminister weichen muss, verspekuliert und unterschätzt, welche Reaktionen ein solcher Affront gegen die FPÖ auslösen würde? Das verneint die ÖVP-Spitze unisono. „Wenn man so einen Schritt macht, dann muss man mit allem rechnen“, so ein Vertrauter von Kurz.
Auch die SPÖ macht kein Hehl daraus, dass sie den Kanzler nicht unterstützen will. „Wir haben kein Vertrauen mehr in Sebastian Kurz. Er hat binnen 24 Monaten zwei Regierungen aufgelöst, dem Land zwei Wahlkämpfe und monatelangen Stillstand während dieser Wahlkämpfe und der Regierungsbildung beschert. Wir fordern die Einsetzung einer Expertenregierung“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda.
Die SPÖ hat diese Forderung am Montag dem Bundespräsidenten unterbreitet. Wenn Van der Bellen Kurz nicht ablöst, dürfte auch die SPÖ dem Misstrauensantrag zustimmen.
Angebot an die SPÖ
Die ÖVP hat sich vorbereitet: Sie will SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner anbieten, dass sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl jener Experten bekommt, die die FPÖ-Minister ersetzen sollen.
Geht die SPÖ auf den Deal nicht ein und wird Kurz vom Parlament abgesetzt, dann liegt die türkise Botschaft der kommenden Monate auf der Hand: Die SPÖ half mit, das Land ins Chaos zu stürzen.„Denn man stelle sich vor, am EU-Gipfel, wo über den künftigen EU-Kommissionspräsidenten entschieden wird, nimmt nicht Kanzler Kurz teil, sondern möglicherweise ein unbekannter, ranghoher Beamter, den dann Alexander Van der Bellen ernennen muss“, ätzt ein ranghoher ÖVPler. Bei den Türkisen ist man sich (fast) sicher, dass Rendi-Wagner dieses Risiko nicht eingehen wird.
Streit um Sondersitzung
Die SPÖ wünscht sich übrigens, dass die Sondersitzung morgen, Mittwoch, also vier Tage vor der EU-Wahl, über die Bühne geht. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka lehnt das ab und will die Sitzung erst am Montag, dem Tag nach der Wahl, abhalten. Die SPÖ zürnt deswegen. Aus der Hofburg hört man, dass auch der Bundespräsident den Montag für die Sondersitzung präferiert.