Politik/Inland

Regierung zu Lockdown: "Treffen Sie niemanden"; "Letzte Chance, Kollaps zu verhindern"

  • "Harter Lockdown" ab Dienstag, 17. November bis voraussichtlich 6. Dezember.
  • Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr – mit den bereits bekannten Ausnahmen (Einkäufe, Arbeitswege – sofern unausweichlich, körperliche Erholung)
  • Kontaktbeschränkungen: Nur noch eine wichtige Bezugsperson außerhalb des Haushaltes darf getroffen werden.
  • Handel macht dicht – wie im 1. Lockdown bleibt nur „kritische Infrastruktur“ geöffnet (Lebensmittelhandel, Apotheken, Drogerien usw. – mehr dazu hier)
  • Schulen schließen, stellen auf Distance Learning um.
  • Restaurants bleiben geschlossen.

Es ist angerichtet, der Verordnungsentwurf des Sozialministeriums war bereits am Samstagnachmittag durchgesickert: Damit war schon vor der Pressekonferenz klar, was viele Österreicher angesichts der anhaltend hohen Zahl an Neuinfektionen bereits befürchtet hatten: Österreich geht in den "harten Lockdown". Ab Dienstag wird es ganztägige Ausgangssperren, Kontaktverbote und geschlossene Schulen geben.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer äußerten sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz zur Verschärfung der Maßnahmen.

Ich weiß, dass die kommenden Wochen für uns eine sehr harte Zeit sein werden


Kurz sprach einleitend von einer "angespannten Gesamtsituation in ganz Österreich". Die Wirkung der Maßnahmen des Teil-Lockdowns seien genau evaluiert worden. Dass die Zahlen ansteigen, sei "erwartbar gewesen", aber nicht in diesem Ausmaß. Die Neuinfektionsrate von 7.000 Fällen pro Tag. Die Sieben-Tages-Inzidenz sei mehr als "zehnmal so hoch als gut wäre", so Kurz. 77 Prozent der Neuansteckungen können nicht mehr zurückverfolgt werden. "Wenn wir nicht massiv reagieren (...) würde das zu einer Überforderung der Intensivstationen führen." Von kommenden Dienstag bis 6. Dezember gibt es also einen harten Lockdown - wie bereits berichtet.

Schulen stellen auf Distance Learning um

Der Handel wird geschlossen - die kritische Infrastruktur ausgenommen. "Körpernahe Dienstleistungen werden geschlossen", so Kurz. "Pflichtschulen stellen wie Oberstufen auch auf Distance Learning um." Wo Bedarf an Betreuung bestehe, soll dieser aber erfüllt werden.

"Meine eindrückliche Bitte für die nächsten vier Wochen ist: Treffen Sie niemanden!", sagte der Kanzler. Wer alleine lebe soll eine Person definieren, mit der er während des Lockdowns persönlichen Kontakt pflege. "Auch wenn sich niemand einen zweiten Lockdown wünscht, so ist der zweite Lockdown das einzige Mittel, von dem wir wissen, dass es verlässlich funktioniert", sagte Kurz und verwies auf das Beispiel Israel, wo es allerdings fünf Wochen Lockdown braucht, bis die Zahlen wieder zu sinken begannen. 

"Ich weiß, dass die kommenden Wochen für uns eine sehr harte Zeit sein werden", meinte der Kanzler. Niemand wolle, was gerade geschehe. Nach dem zweiten Lockdown sei das Ziel, die Zahlen "lange" auf einem niedrigen Niveau zu halten - wie im Frühsommer.

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Kogler: "Sie können Leben retten"

Vizekanzler Kogler bedauerte, dass die Maßnahmen des Teil-Lockdowns nicht gereicht haben. Ihm sei bewusst, "dass das eine Zumutung ist". Aber: "Mit Ihrem Verhalten können Sie tatsächlich Leben retten", sagte Kogler. "Die Situation in unseren Spitälern ist bereits besorgniserregend. Daran gibt es nichts zu rütteln oder zu deuteln." Wer ein lebensrettendes Intensivbett brauche, der soll auch eines bekommen - darum gehe es.

Kogler betonte deutlich: Pflichtschulen bleiben für die Betreuung offen. "Sie sollen sich um Ihre Kinder keine Sorgen machen müssen." Das gelte auch für die Kindergärten, so Kogler.

Umsatz-Ersatz für Unternehmen

Zu "den Wirtschaftshilfen" sagte er den Betroffenen: "Wir lassen Sie nicht allein." Man werde "rasch und unbürokratisch" helfen, versicherte Kogler. "Ich unterstütze den Finanzminister hier nach Kräften bei der Umsetzung der nötigen Maßnahmen." Kogler kündigte einen Umsatz-Ersatz über das Finanz-Online-Tool an. Das sei in Österreich wesentlich rascher eingerichtet worden, als in Deutschland, übte der Vizekanzler etwas Selbstlob. Bei 20, 40 oder 60 Prozent könne der Umsatzersatz dann liegen. Die Deckelung der EU liege "für alle Förderungen zusammen" bei 800.000 Euro. Eine "Überförderung" sollen "diese Deckel" verhindern.

Als Sportminister wollte Kogler dann noch ein paar persönliche Worte loswerden: "Gehen Sie schon auch manchmal raus. Und bleiben Sie in Bewegung!", sagte Kogler. Das bringe Erholung für Geist und Körper. Aber man solle es eben im besten Fall "alleine" machen. Mit "leiser Vorfreude" stellte Kogler ein Weihnachtsfest mit "mehr Freiheiten" in Aussicht.

Anschober: Auch kommende Woche 7.000 Neuinfizierte pro Tag

"Das Befürchtete" sei in ganz Europa eingetreten, sagte im Anschluss Gesundheitsminister Anschober. "Die Spitäler waren und sind an der Kippe bei unseren Nachbarn", meinte er, die Zahlen seien aber nach einem harten Lockdown wieder gesunken. Auch in Österreich warnten Intensivmediziner heute vor einer bevorstehenden Triage.

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"Auch bei uns in Österreich ist die Situation mittlerweile wirklich dramatisch", so Anschober. Zwischen 23. und 24. Oktober habe es einen "dramatischen Sprung" bei den Infektionszahlen gegeben. Zwölf Tage nach dem Teil-Lockdown sehe man zwar, dass die "sprunghaften Steigerungen" etwas gedämpft seien, aber: "Wir sind weitaus nicht dort, wo wir hinmüssen." Man habe also die Verantwortung, "diese Notbremse zu setzen".

Warum die Eskalation bei den Infektionszahlen? Es sei durch den Teil-Lockdown nicht gelungen, dass sich die Menschen weniger bewegen, meinte Anschober. Laut Bewegungsprofile der Mobilfunkanbieter hat sich die Bevölkerung während des Lockdowns im Frühjahr um 60 Prozent weniger bewegt. Beim aktuellen Teil-Lockdown sollen es "nur" 30 Prozent gewesen sein.

Die Prognosen der Fachexperten verkünden für kommende Woche weiterhin "täglich rund 7.000 Neuinfektionen", so Anschober. Die Zahl der Todesfälle sei in den "letzten zwei, drei Wochen deutlich gestiegen".

Es gebe bereits Berichte von "ersten Engpässen" in Spitälern. Das Gesundheitssystem komme an seine Grenzen, stellte Anschober fest. Die Kapazitäten der Intensivstationen könnten teilweise mancherorts bereits in wenigen Tagen ausgeschöpft sein, falls die Neuinfektionen nicht zurückgehen. "Wir werden diese bedrohliche Entwicklung unterbrechen", versprach der Minister. Doch: "Es ist unsere einzige Chance, unsere letzte Chance, einen Kollaps in unseren Spitälern zu verhindern." Wenn man jetzt nicht handle, seien Triagen die Folge.

Nehammer: Lob für Polizei

6,8 Millionen Grenzkontrollen seien bisher durchgeführt worden, sagte Innenminister Karl Nehammer. Manchmal werde vergessen, dass hinter "den Polizistinnen und Polizisten" all diese Maßnahmen ebenfalls Konsequenzen hätten. Er forderte dazu auf, Sicherheitskräfte nicht als "die Bösen" zu bezeichnen, nur weil sie nun die Verordnung durchsetzen müssen. Das Coronavirus sei eine "Zumutung, eine Belastung" und "zipft jeden an", so der Innenminister. Gerade deshalb forderte er wiederholt einen "gemeinsamen Schulterschluss".

Harte Kritik von der Opposition

Auf parlamentarischer Ebene ist man von einem Schulterschluss weit entfernt. Bereits im Vorfeld übten die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos Kritik. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wertete die Maßnahme als Schuldeingeständnis für das totale Versagen der Regierung im Corona-Management. Ähnlich die FPÖ. "Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer versuchen, unsere Republik zu Grabe zu tragen", meinte Klubchef Herbert Kickl in einer Aussendung.

Rendi-Wagner stieß sich in einer Pressekonferenz am Samstag daran, dass für die drohende zweite Pandemiewelle keine Vorbereitung getroffen worden sei. Der nun angekündigte Lockdown sei eine "Verzweiflungstat" und zeige den totalen Kontrollverlust der Bundesregierung über das Infektionsgeschehen, sagte Rendi-Wagner, die Kritik an drohenden Schulschließungen übte.

Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger macht die Koalition für den zweiten "Lockdown" verantwortlich: "Diese Regierung hat versagt", meinte sie in einer Pressekonferenz Samstagnachmittag. Das Kabinett Kurz habe in den vergangenen Monaten als einzigen Job gehabt, einen zweiten "Lockdown" zu verhindern. Dass das möglich sei, zeigten viele Länder, auch in Österreichs Nachbarschaft. Wegen der Schulschließungen will die NEOS-Chefin rechtliche Schritte prüfen.

Der Hauptausschuss des Nationalrats wird am morgigen Sonntag um 18.00 Uhr zusammentreten, um den neuen verschärften Lockdown abzusegnen. Konkret geht es etwa um die Ausgangsbeschränkungen, die ab Dienstag nicht mehr nur nachts, sondern auch tagsüber gelten sollen. Es reichen dafür die Stimmen der Regierungsfraktionen ÖVP und Grüne.

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