Nach Kickl-Sager: Van der Bellen gegen "Rütteln" an Grundkonsens
Von Peter Temel
"Es heißt, ein bisserl kreativ sein", sagte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vor einer Woche und drängte auf Verschärfungen bei der Aberkennung von Asyl bei straffälligen Ausländern. Er sprach sich dafür aus, auch in das Bürgerkriegsland Syrien in gewisse Regionen abzuschieben. Es gelte, völkerrechtliche Bestimmungen auf deren "Sinnhaftigkeit" zu überprüfen.
Ungeachtet des Widerspruchs von Rechtsexperten legte der Innenminister gestern im ORF-"Report" noch einmal nach. Es müsse der Grundsatz gelten, das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht, darüber wolle er noch einige Diskussionen führen.
Kickl, der im "Report" daran erinnert wurde, dass nicht zuletzt Justizminister Josef Moser (ÖVP) dabei auf Rechtsstaatlichkeit pocht, führte im Detail dazu aus: "Selbstverständlich stehen wir alle auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit, das ist ja eine Selbstverständlichkeit. Nur eines muss man auch einmal dazu sagen: Die größte Gefahr für den Rechtsstaat ist, dass er missbraucht wird und quasi gegen sich selbst in Anwendung gebracht wird. Dass man über die eigenen Gesetze stolpert und handlungsunfähig wird.“
Kickl sprach auch über eine notwendige Beschleunigung der Asylverfahren, was eine Einschränkung von Berufungsmöglichkeiten für Flüchtlinge bedeuten würde. „Ich bin angetreten, diese schiefen Dinge gerade zu richten“, sagte Kickl, der aktuell auch an einer Neuordnung der Rechtsberatung für Flüchtlinge arbeitet.
„Seltsame rechtliche Konstruktionen“
Kickl erläuterte die Situation anhand folgenden Beispiels: „Da brennt das Haus, dort liegt der Schlauch. Wir wissen genau, dass wir den Schlauch nehmen müssen um das Feuer zu löschen, und dazwischen gibt es irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt, aus ganz anderen Situationen heraus entstanden, und die hindern uns daran, das zu tun, was notwendig ist.“
Deshalb möchte er eine Debatte darüber führen, Kickl wolle sich „auch anlegen mit diesen Regelungen“, diese „hinterfragen“.
"Das Recht hat der Politik zu folgen"
Er glaube immer noch, sagte Kickl wörtlich, „dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“
Kickl erwarte eine spannende Auseinandersetzung, „weil ich nämlich annehme, dass es niemanden Vernünftigen geben kann in diesem Land, der nicht dafür ist, dass wir bei Straftätern, die Körperverletzungen begehen und andere Dinge, nicht einen Weg finden sollen, dass wir denen auch einen Asylstatus aberkennen und sie außer Landes bringen und bei denen, die sich darum bewerben, dafür sorgen, dass das negativ ausgeht.“
"Dinge aus den Fünfziger Jahren"
Noch einmal betonte Kickl: „Wenn wir an Grenzen kommen, will ich eine ehrliche Diskussion darüber. Da hört sich ja die Politik auf. Wir können doch nicht mit Dingen aus den Fünfziger Jahren herumtun unter völlig anderen Voraussetzungen, da muss man ja einmal weiterdenken.“
Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde 1950 verabschiedet, die Genfer Flüchtlingskonvention im Jahr 1951.
Darauf angesprochen, ob seine Vorstöße innerhalb der Regierung zu Unstimmigkeiten führen könnten, sagte Kickl: Er habe „die Worte des Kanzlers in Erinnerung“, der beim Thema Asyl-Aberkennung die geplanten Verschärfungen unterstütze. Wenige Minuten zuvor war Justizminister Moser mit folgendem Satz zitiert worden: „Österreich ist ein Vorreiter in Sachen Rechtsstaatlichkeit, und dafür sorgt das Justizministerium, und ich auch, weil es mir ein enormes Anliegen ist.“
Van der Bellen erinnert an Grundkonsens der Republik
Scharfe Kritik äußerte Alexander Van der Bellen. Der Bundespräsident verurteilte ein "Rütteln" an der Menschenrechtskonvention scharf, ohne Kickl zu erwähnen. Am Mittwoch schrieb er auf Twitter: "Die Europäische Menschenrechtskonvention steht in Österreich seit 59 Jahren im Verfassungsrang. An ihr zu rütteln, wäre eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik."
Auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger meldete sich zu Wort. Via Twitter nannte sie Kickls Aussagen zur Rechtstaatlichkeit „jenseitig“. „‘Seltsame rechtliche Konstruktionen‘ liegen also zwischen Problem und Lösung. … Damit stellt sich Kickl selbst außerhalb unserer Verfassung.“
Kickls Äußerungen wurden nicht nur auf Twitter als Infragestellen der Menschenrechtskonvention interpretiert.
Moser: "Recht an oberster Stelle"
Josef Moser, der auch Verfassungsminister ist, erteilte einem Rütteln an der Menschenrechtskonvention eine Absage. "In einem Rechtsstaat steht das Recht an oberster Stelle", sagte Moser am Mittwoch nach dem Ministerrat, auf Kickls Äußerungen angesprochen. In der österreichischen Verfassung sei klar geregelt, dass die gesamte Verwaltung nur auf Basis der Gesetze ausgeübt werden dürfe. "Ich bin mir sicher, dass auch der Bundesminister Kickl sich daran halten wird", so Moser.
Ein Hinterfragen der Europäischen Menschenrechtskonvention hält Moser nicht für notwendig. "Die Menschenrechtskonvention hat sich in der Vergangenheit bewährt", betonte der Minister. Außerdem sei sie auch Grundlage der EU-Grundrechtecharta. Aus Mosers Sicht reichen die darin festgelegten Spielräume aus.
Kritisch hatte sich zu Kickls Aussagen zuvor auch Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) geäußert. "Ich würde das so nicht sagen", betonte Faßmann zu Kickls Forderung, dass das Recht der Politik zu folgen habe: "Die Bundesverfassung hat einen sehr stabilen Charakter, das ist nicht etwas, was man im Rahmen eines schnellen politischen Prozesses verändern soll."
Hofer und Blümel nehmen Kickl in Schutz
Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) unterstützte hingegen seinen Parteifreund Kickl. Er interpretierte ihn dahingehend, dass "natürlich die Gesetzwerdung im Parlament geschieht". Kulturminister Gernot Blümel, wie Hofer auch Regierungskoordinator, verwies darauf, dass Kickl selbst klar gemacht habe, sich am Boden des Rechtsstaates zu befinden. Keine Festlegung gab es, ob die Regierung zum Beispiel die Menschenrechtskonvention aufkündigen will.
Kickl plant, "Tabus zu brechen"
In den letzten Tagen ließ Kickl bereits mehrmals mit drastischen Aussagen aufhorchen. Kürzlich sprach Kickl in der Kronen Zeitung von einer "staatlichen Notwehrsituation" nach Gewalttaten gegen Frauen durch Migranten. In einem Fall war ein Tatverdächtiger ein 19-jähriger syrischer Asylwerber, gegen den im Vorjahr ein Aberkennungsverfahren lief. Kickl wolle bei der Verschärfung des Asylrechts auch "Tabus brechen“.
Als Ultima Ratio, also wenn die Bemühungen, einen gewalttätigen Migranten abzuschieben, gescheitert sind, will Kickl sie "örtlich binden". Damit ist aber kein Gefängnis gemeint - ein Ort, an dem man straffällige und rechtskräftig Verurteilte üblicherweise "bindet". Man müsse sich dies wie eine Transitzone am Flughafen vorstellen, erklärte Kickl in der „Krone“. Es gebe dann nur noch einen Weg, und zwar in Richtung Heimat.
Kickl will zudem, dass neu in ein Asyl-Verfahren tretende Personen freiwillig eine Erklärung unterschreiben, dass sie eine Anwesenheitspflicht akzeptieren. Wer das nicht unterfertige oder dagegen verstoße, soll eine "Unterbringung weit abseits von Ballungszentren" erhalten, erklärte der Ressortchef in der Tiroler Tageszeitung.
Rückzieher bei Abschiebungen trotz Berufung
Einen Schritt zurück ging Kickl am Mittwoch beim kürzlich angedeuteten Plan, auch erstinstanzlich verurteilte Asylberechtigte abschieben zu wollen. Im „Report“ hieß es nun: "Wünschen kann man sich viel. Jetzt wünsche ich mir, dass die Verfahren in zweiter Instanz möglichst rasch abgewickelt werden. Da ist der Justizminister gefordert."
Ob er auch EU-Vertragsverletzungsverfahren in Kauf nehmen würde, wurde Kickl gefragt. Das geschehe bereits, sagte der Innenminister, und nannte als Beispiel die von der türkisblauen Regierung beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe, die einer „bestehenden Inländerdiskriminierung“ entgegenwirke. Ein solches Verfahren will die EU-Kommission übrigens bereits an diesem Donnerstag starten.
Stichwort: Völkerrechtliche Verpflichtungen
1955 trat Österreich dem Europarat bei. Diese Internationale Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschenrechte und Demokratie in ganz Europa durchzusetzen und zu sichern. Schon 1950 hatten die Mitglieder des Europarats die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Sie ist eines der wichtigsten Dokumente zum Schutz der Menschenrechte. 1958 wurde sie in die Verfassung übernommen. Sie ist seitdem ein wichtiger Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts.
Die Grundrechtecharta der EU umfasst neben den klassischen Grund- und Freiheitsrechten aus der Menschenrechtskonvention auch Rechte auf Verbraucher- und Datenschutz, die Verpflichtung der EU zum Umweltschutz sowie soziale Rechte wie jenes auf "würdige Arbeitsbedingungen" oder das Streikrecht. Sie trat am 1. Dezember 2009, gemeinsam mit dem Lissabon Vertrag, in Kraft.
Die Genfer Flüchtlingskonvention dient dem Schutz von Menschen, die "wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung" verfolgt werden.
Das 1951 auf einer UN-Sonderkonferenz verabschiedete "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" regelt unter anderem den Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg sollte es zunächst vor allem europäische Flüchtlinge schützen, wurde aber später erweitert.
Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind der Konvention und/oder dem Zusatz-Protokoll seit 1967 bisher 147 Staaten beigetreten. Bis heute trug sie zum Schutz von mehr als 50 Millionen Menschen bei.