Politik/Inland

Psychiater Reinhard Haller über Ibiza: „Narzisstischer Höhenrausch“

KURIER: Herr Haller, Fassungslosigkeit war die häufigste Reaktion auf das Ibiza-Video. Welche Gedanken hatten Sie als Psychiater? Reinhard Haller: Diese völlig fehlende Intelligenz war erschreckend. Dass ein Politiker, der weiß, mit welchen Methoden teilweise gearbeitet wird, in eine solche primitive Falle tappt, ist psychiatrisch erstaunlich.

Strache versucht, sich als Opfer zu inszenieren. Seine Fans zeigen wenig Enttäuschung, sondern unterstützen die „Jetzt erst recht“-Stimmung. Wie kann man dieses Phänomen erklären?

Straches Version, dass es nur eine besoffene Geschichte ist, kann man fachlich nicht teilen. Es war auch eine besoffene Geschichte, bei der Gedanken durchgebrochen sind, die er sonst kontrolliert. Denn psychotrope Substanzen spitzen nur etwas zu, was ohnehin schon in der Persönlichkeit vorhanden ist. Zum Verhalten der Fans: Was auf dem Video zu beobachten ist, hat jeder von uns schon im Kleinen erlebt. Es ist eine Identifikation mit jemandem, der etwas tut, was einem selbst nicht unbekannt ist. Erinnern Sie sich an Donald Trump und das aufgezeichnete sexistische Gespräch? Das war drei Wochen vor der Wahl. Was ist damals passiert? Alle waren entsetzt. Man dachte, die Wahl ist gelaufen. Trump hat trotzdem gewonnen. Diesen Effekt gibt es auch bei Strache.

Strache hat doch seine Wähler desavouiert. Sollte es hier nicht vielmehr einen emotionalen Bruch geben?

Ich schätze, das trifft für ein Drittel der FPÖ-Wähler zu. Angesichts dessen ist gerade diese Europawahl ein massenpsychologisches Experiment. Ich sehe dem Wahlergebnis mit höchster Neugierde entgegen. Vergleichbare Fälle gibt es ja nicht. Ich bin gespannt, ob die Enttäuschung dominiert, ob die Wähler eher zu Hause bleiben, also eine Verdrängung passiert, oder ob es eher zur Identifizierung kommt.

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Strache inszenierte sich als der Vertreter des kleinen Mannes. Auf dem Video benimmt er sich wie ein Mitglied der High Society. Warum spürte Strache nicht mehr, wann er rote Linien übertritt?

Psychiatrischen gesehen war das ein narzisstischer Höhenrausch von Strache. Wenn man sich empor arbeitet, heben manche Menschen ab. Die große Gefahr am Narzisstischen ist: Man ist nicht mehr geerdet, nicht mehr mit der Wirklichkeit verbunden. Schon Dädalus in der griechischen Mythologie warnt seinen Sohn Ikarus, dass er nicht zu nah an die Sonne fliegen soll. Und was passiert? Ikarus hört nicht auf seinen Vater. Seine Flügeln, die aus Wachs sind, schmelzen, und er stürzt ab. Die Quintessenz ist: Ein narzisstischer Höhenrausch führt immer zum Absturz.

Strache steht kurz vor seinem 50. Geburtstag. Er war als Vizekanzler endlich am Ziel seiner Träume. Was macht der tiefe Fall mit der Psyche?

Der Therapeut in mir hat auch ein wenig Mitleid mit Strache, weil es ein brutaler Absturz ist. Er ist gleich mit mehreren Strafen konfrontiert. Momentan steht er rund um die Uhr am weltweiten Pranger. Dazu kommt: Er verliert seinen Job, sein Ansehen. Seine Zukunftsperspektiven sind nicht gut. Im Privatleben gibt es Schwierigkeiten. Es ist ein sozialer und psychologischer Absturz ersten Ranges. Da kann man nur hoffen, dass er diesen verkraften kann. Viele Betroffene reagieren in solchen Situationen auch panisch.

Politik und Korruption sind seit jeher eng miteinander verbunden. Wie kann man dieses Phänomen stoppen?

„Politisch Lied ist ein garstig Lied“ – hat schon Johann Wolfgang Goethe gesagt. Wenn Macht gewonnen wird, dann wird man auch sehr unvorsichtig. Das Wesen der Macht ist, dass man sich an nichts halten muss. Es gibt nur eine Gegenreaktion, nämlich dass der Politiker wieder zur Anständigkeit zurückkehrt, eine gewisse soziale Intelligenz mitbringt. Nicht hinterhältig und nicht intrigant ist, sondern transparent und offen. Damit würde alles in ein besseres Licht kommen. Deswegen ist es gut, dass die Medien hier die Kontrolle ausgeübt haben. Das ist auch ein Stück weit ein Reinigungsfaktor.

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Mit welchen Charaktereigenschaften muss man ausgestattet sein, um der Macht gewachsen zu sein?

An erster Stelle sollte ein hohes Maß an Selbstreflexion stehen. Denn Menschen im Machtrausch spüren gar nicht mehr, wie sie handeln. Dann wäre ein gewisses Maß an Demut und an Relativierungsfähigkeit erforderlich. Und die dritte Säule wäre ein ehrliches Feedback. Menschen, denen man vertrauen kann und die nicht nur Jasager sind. Gerade das ist aber das Problem der Narzissten. Bei Donald Trump sind die Kritiker gleich ihren Job los.

Strache tobt sich auf Facebook aus. Er gibt in Videos Stellungnahmen ab und kündigt die Aufklärung an. Glauben Sie, dass er an ein Comeback denkt?

Ich würde es ausschließen, dass ihm ein Comeback gelingt. Denn so einen Skandal vergisst die Bevölkerung nicht.