Politik/Inland

Nationalrat beschließt Kostenersatz: Lob von allen Seiten

Der Nationalrat verabschiedet sich am Freitag in die Sommerpause. Zum Abschluss der Plenarwoche, in der rund 60 Beschlüsse auf der Tagesordnung gestanden sind, wird etwa noch der Kostenersatz für Strafverteidiger bei Freisprüchen stark erhöht. Eingeführt wird eine neue Form von Verbandsklagen. Dazu gibt es erstmals eine Förderung für Podcasts

Gestartet wurde die Sitzung mit einer "Fragestunde" an den Bundeskanzler.

Diese wurde von der FPÖ genutzt, um ihre Attacken in Bezug auf das EU-Renaturierungsgesetz fortzusetzen. Gestern Abend ist die FPÖ ja mit einem Misstrauensantrag gegen die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler gescheitert. Die ÖVP hatte nicht mitgestimmt. 

Diese Ablehnung sei "eine Sternstunde der Unglaubwürdigkeit", sagt die blaue Abgeordnete Petra Steger tags darauf zu Kanzler Karl Nehammer. Die ÖVP habe damit auch bewiesen, dass sie "der Totengräber der Landwirtschaft sei". Dass Nehammer als Kanzler nicht sofort die Entlassung der Ministerin in die Wege geleitet habe, sei "Verrat" an den Bauern und eine Gefährdung der Ernährungssicherheit.

Nehammer kontert: "Kein Chaos vor dem Wahltag"

Nehammer kontert gelassen: "Sie wissen: Diese Form des Aktionismus nicht einmal 87 Tage vor der Nationalratswahl hätte nichts gebracht, um die Verordnung aufzuhalten." 

Es sei bereits ausreichend diskutiert worden, dass es einen Rechtsbruch durch die Ministerin gegeben habe, es sei der ÖVP auch wichtig gewesen, darauf hinzuweisen. "Aber ich habe den Menschen in Österreich versprochen, dass es kein Chaos gibt vor dem Wahltag, sondern dass wir diese Regierung geordnet bis zum Ende führen."

Der Kanzler und ÖVP-Chef betonte auch, dass seine Partei selbstverständlich gegen die EU-Renaturierungsverordnung sei. Es sei in Österreich immer klar gewesen, dass die Landwirtschaft "Verbündeter" beim Umweltschutz sei. Kurzum: "Zentralistische" Vorgaben aus Brüssel brauche man nicht. 

Die Beschlüsse von gestern Abend und heute im Überblick:

Am Donnerstagabend wurden Änderungen des eGovernment-Gesetzes beschlossen, diese sollen die Grundlagen für mehr Digitalisierung in der Verwaltung schaffen. 

So soll spätestens eine papierbasierte Kommunikation zwischen Verwaltungsorganen ab 2026 nur mehr ausnahmsweise stattfinden. Bürger sollen trotzdem weiterhin eine Wahlfreiheit haben, ob sie mit öffentlichen Stellen auf digitalen oder analogen Wegen kommunizieren. 

Bei der ID Austria soll künftig auch auf ein bereits registriertes Foto vom Reisepass bzw. Personalausweis oder der eCard zurückgegriffen werden können.

Gemäß eines EU-Beschlusses wurden am Donnerstagabend die Fahrgastrechte im Schienenverkehr gestärkt. Mit einer Novelle des Eisenbahngesetzes soll künftig schneller auf Kapazitätsprobleme reagiert werden können. 

Verbesserungen bei den Fahrgastrechten gibt es per einstimmigem Beschluss etwa für Menschen mit Behinderung, erleichtert wird auch die Mitnahme von Rädern. Entschädigungen sollen den Fahrgästen nicht nur bei Ausfall oder Verspätung eines Zuges zustehen, sondern auch, wenn ihre Weiterreise wegen Überfüllung eines Zugs verzögert wurde. Entschädigungsbestimmungen würden von Jahreskarten auf kürzer gültige Zeitfahrkarten ausgedehnt, erklärte Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne).

Durch eine ebenfalls einstimmig beschlossene Novelle des Eisenbahngesetzes soll rasches Reagieren auf Kapazitätsprobleme möglich sein. So würden etwa Streckensperren im deutschen Schienennetz ab 2026 für Herausforderungen sorgen, meinte Gewessler. Bei hoher Auslastung aufgrund von Sperren soll nun schneller und gezielter gehandelt werden können.

Einstimmig abgesegnet wurde eine Bund-Länder-Vereinbarung über die Förderung der geplanten Linzer Regionalstadtbahn. Für das Projekt sind Gesamtkosten in Höhe von 939,26 Millionen Euro veranschlagt. Sie sollen zu 50 Prozent vom Bund sowie zu 50 Prozent vom Land Oberösterreich getragen werden.

Neue Regeln gibt es für die Zuteilung von Deck- und Wunschkennzeichen. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass anstößige Wunschkennzeichen nicht bewilligt werden. Dabei geht es vor allem um in rechtsextremen Kreisen verwendete Codes. 

Klargestellt wird, dass die Festlegung der Liste der bei Wunschkennzeichen als anstößig zu bewertenden Buchstaben- und Ziffernkombinationen per Verordnung der Verkehrsministerin im Einvernehmen mit dem Innenminister erfolgen soll. 

Dafür stimmten alle Parteien außer der FPÖ. Deren Generalsekretär Christian Hafenecker sah die Österreicher "unter Generalverdacht gestellt" und stellte in den Raum, dass ständig neue Codes erfunden werden würden. 

Weiters soll mit dieser Änderung die Jahresfrist für die Ummeldung des eigenen Fahrzeuges für Vertriebene aus der Ukraine nicht gelten.

Zivildiener können künftig bei der Geburt eines Kindes den "Papamonat" in Anspruch nehmen. Eine Novelle, die außerdem bei besonders berücksichtigungswürdigen wirtschaftlichen oder familiären Gründen eine einmalige Teilung des Zivildienstes erlaubt, ist am Donnerstagabend mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und SPÖ im Nationalrat abgesegnet worden. Die zuständige Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) sprach von einer Aufwertung des Zivildienstes.

Für die Teilung des Zivildienstes ist eine Vereinbarung mit der Trägerorganisation im Vorfeld notwendig. Zudem wird der Kreis der bevorzugten Zivildienstorganisationen um Einrichtungen der Altenbetreuung und Krankenanstalten erweitert. 

Auf die steigende Zahl an Nichtantritten des Zivildiensts aus medizinischen Gründen reagiert die Politik mit einer Ermächtigung für die Zivildienstserviceagentur, fachärztliche Untersuchungen zu beauftragen. Wer - etwa in Folge einer Katastrophe oder eines besonderen Notstands - einen außerordentlichen Zivildienst leisten muss, wird künftig aufs Jahr gerechnet 30 Tage Dienstfreistellung erhalten.

Der Nationalrat hat am Freitag erstmals eine Podcast-Förderung etabliert - und das einstimmig. Vorgesehen ist, "daily"- und "weekly"-Podcasts mit maximal 50.000 Euro pro Jahr und abgeschlossene Serien mit höchstens 25.000 Euro zu subventionieren. 

Dabei sollen mindestens 10.000 Downloads pro Monat für regelmäßig erscheinende Podcasts und mindestens 12.000 Downloads für abgeschlossene Serien zu den Fördervoraussetzungen zählen. 

Der Koalitionsantrag sieht über die Podcast-Förderung hinaus vor, die jährlichen Fördermittel für private TV-Sender und Privatradios beginnend mit heurigem Jahr um fünf Millionen auf 25 Mio. Euro zu erhöhen, sofern die EU-Kommission keine Einwände geltend macht. 

Gleichzeitig wird der Fonds zur Förderung von nicht-kommerziellem Rundfunk von fünf auf 6,25 Mio. Euro aufgestockt.

Ermöglicht werden Doppelförderungen, also von unterschiedlichen öffentlichen Stellen. Derzeit sind kleine Zeitungen und Zeitschriften, die von einer anderen Gebietskörperschaft Geld erhalten, von der Publizistikförderung ausgeschlossen.

Wenn viele Konsumenten durch das Verhalten eines Unternehmens geschädigt werden, können sie künftig leichter eine gemeinsame Klage einreichen. Organisationen wie Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer oder VKI sind künftig berechtigt, derartige Klagen im Namen von 50 Personen am Handelsgericht Wien einzubringen. 

Eine entsprechende Novelle wurde in der Nationalratssitzung am Freitag mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und FPÖ angenommen.

Dadurch soll das Prozessrisiko der Verbraucher gesenkt werden. Verbandsklagen können künftig von "Qualifizierten Einrichtungen" eingebracht werden. AK, Landarbeiterkammertag, ÖGB, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, Seniorenrat, VKI und WKÖ werden im Gesetz dazu ermächtigt. 

Über die Qualifikation weiterer Organisationen wird der Bundeskartellanwalt auf Basis des neuen "Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetzes" (QEG) per Bescheid entscheiden. Grundsätzlich muss so eine Organisation eine öffentliche Tätigkeit zum Schutz von Verbraucherinteressen ausüben, keinen Erwerbszweck verfolgen und nicht unter dem Einfluss eines Unternehmens stehen. Der Kartellanwalt muss auch regelmäßig prüfen, ob die Kriterien noch erfüllt werden.

Die neue Richtlinie über Verbandsklagen basiert auf einer Vorgabe der EU. Die 2020 beschlossene Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen hätte bereits umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission hat deshalb bereits Ende 2023 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

Der Kostenersatz für Strafverteidiger bei Freisprüchen steigt massiv. Dazu können künftig auch Mittel bezogen werden, wenn das Verfahren eingestellt wird. Einen entsprechenden Beschluss fasst der Nationalrat Freitagnachmittag einstimmig. 

Bei besonders langwierigen Verfahren können bis zu 60.000 Euro fließen. Entscheiden wird jeweils Richterin oder Richter.

Die Regelung im einzelnen: Bei Freispruch sollen die Pauschalhöchstsätze für die Bemessung des Verteidigungskostenbeitrags für Schöffen- und Geschworenenverfahren im Vergleich zu den bisherigen auf künftig 30.000 Euro versechs- bzw. verdreifacht werden. 

Beim Höchstsatz für Einzelrichterverfahren am Landesgericht ist eine Vervierfachung auf 13.000 Euro, für Verfahren vor den Bezirksgerichten eine Verfünffachung auf 5.000 Euro vorgesehen. Bei längerer Dauer können diese Werte um die Hälfte, bei "extremem Umfang" auf das Doppelte des Höchstbeitrags aufgestockt werden.

Bei Einstellung wird der Betrag mit maximal 6.000 Euro festgesetzt werden. Bei längeren bzw. komplexeren Verfahren soll aber die Summe auch hier um die Hälfte, bei "extremem Umfang" des Verfahrens auf das Doppelte erhöht werden können.

Lob kam von allen Seiten. VP-Mandatarin Johanna Jachs betonte, dass die Mittel von nunmehr 70 Millionen eine Verdreißigfachung darstellten. Dank richtete Justizministerin Alma Zadic (Grüne) diesbezüglich an den Finanzminister. Gleichzeitig betonte sie, dass ihre Fraktion das Ziel eines höheren Kostenersatzes schon seit einem Jahrzehnt verfolge, seien damals doch beim Tierschützer-Prozess die Angeklagten zwar mit einem Freispruch, aber auch entsprechenden Kosten da gestanden.

FP-Mandatar Philipp Schrangl sprach von einem "Meilenstein in der österreichischen Justizgeschichte", Zadic davon, dass "etwas Großes gelungen" sei. 

Zufrieden war auch die SPÖ, wenngleich deren Justizsprecherin Selma Yildirim kritisierte, dass weiter 100 Richter fehlten und das, wo auch zusätzliche Aufgaben auf sie zukämen. 

Neos-Mandatar Nikolaus Scherak sah einen wesentlichen Schritt für den Rechtsstaat, der Jahrzehnte lang nicht gelungen sei.

Die in dieser Plenarwoche beschlossenen Gesetze werden nächste Woche noch vom Bundesrat behandelt. Der Nationalrat tritt planmäßig wieder am 18. September zusammen. Angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl wäre aber eine Sondersitzung davor keine Überraschung.