Migration nutzen, da "Arbeitskräftemangel zur Bedrohung des Wohlstandes wird"
Von Johanna Hager
Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser und Migrationsexpertin Judith Kohlenberger lassen anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni Zahlen sprechen. Keine Asylantragszahlen, sondern Arbeitsmarktdaten.
Gemäß der demographischen Entwicklung fehlen am heimischen Arbeitsmarkt in den kommenden zwölf Jahren mehr als 500.000 Menschen.
Allein im Bereich der Pflege fehlen bis 2030 mehr als 100.000 Arbeitskräfte.
Laut Thinktank Economica drohe Österreich ein Zehntel seines Arbeitskräftepotenzials zu verlieren, sagt Moser. "Der Arbeitskräftemangel wird zur Bedrohung unseres Wohlstandes. In Österreich wird aber immer davon geredet, dass die Geflüchteten unseren Wohlstand bedrohen. Es geht um die Wohlstandssicherung in Österreich. Wenn ich das als Diakonie-Direktorin sage, ist das schon etwas.“
Moser, Kohlenberger und Thomas Kreiter, HR-Leiter (Human Resources, Personalwesen; Anm.) der ÖBB Infrastruktur, plädieren bei einem gemeinsamen Medientermin deshalb dafür, Migranten eben nicht als Belastung oder Bedrohung, sondern als potenzielle Arbeitskräfte zu sehen.
Das betreffe vor allem Arbeitgeber, führt Wirtschafts- und Migrationsforscherin Kohlenberger aus. In puncto Produktivität, Loyalität, Diversität und Innovation könnten Konzerne wie auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besonders von Geflüchteten als Arbeitskräfte profitieren.
Stressresistenz und Resilienz
Gerade, weil diese Menschen geflohen sind, seien sie oftmals resilienter und stressresistenter als andere Personengruppen, so die Migrationsexpertin. "Wer einmal in einem Schlauchboot nachts das Mittelmeer überquert hat, den lässt im Berufsalltag nichts mehr so schnell aus der Ruhe kommen.“
Wer flüchtet, der verfüge zumeist auch über einen höheren Grad an Bildung und zeige sich dem jeweiligen potenziellen Unternehmen gegenüber loyaler, da nach der Flucht Stabilität im Alltag des Geflüchteten einen wesentlichen Faktor darstelle.
Auf eben diese Menschen als Arbeitskräfte zurückzugreifen könne auch, so Kohlenberger, die Diversität und Innovationskraft des Unternehmens selbst steigern. Die Hälfte aller IT-Start-ups im Silicon Valley sei von Gründern mit Flucht- und Migrationshintergrund geschaffen worden.
"Wer einmal in einem Schlauchboot nachts das Mittelmeer überquert hat, den lässt im Berufsalltag nichts mehr so schnell aus der Ruhe kommen.“
Migrationsforscherin
Kohlenberger erachtet es als "Fehler, dass sich Unternehmen Engagement für Geflüchtete nicht auf die Fahnen heften", denn "Integration durch Arbeit wird in der Gesellschaft unterstützt".
"Brauchen dringend Leute"
Die ÖBB haben rund 100 Geflüchtete gezielt für eine Lehre angeworben - meist mit Hilfe von Flüchtlingsorganisationen, erklärt Kreiter, HR-Leiter der ÖBB-Infrastruktur. Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu engagieren, das sei zwar etwaig mit Mehraufwand verbunden, rechne sich aber à la longue.
"Wir bieten Mobilität für alle Menschen an, also wollen wir auch Arbeitgeber für alle Menschen sein." Die ÖBB zählt, so Kreiter, mehr als 40.000 Mitarbeiter aus 94 Ländern. 3.300 Mitarbeiter verfügen über keine österreichische Staatsbürgerschaft. In den nächsten Jahren werden bei den Bundesbahnen 17.000 Jobs vakant, daher "brauchen wir dringend Leute".
Das sei, so Kreiter wie Moser, nicht einfach, denn die rechtlichen Rahmenbedingungen müssten trotz Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte dringend angepasst werden.
"Die gesetzliche Lage passt nicht zu den wirtschaftlichen Herausforderungen", sagt Kreiter. Diakonie-Direktorin Moser führt in diesem Zusammenhang ein Beispiel an. Geflüchtete, die in Österreich ausreisepflichtig sind, aber es aus diversen Gründen nicht können, brauchen einen Aufenthaltstitel, um während ihrer "Duldung" arbeiten zu dürfen.
"Chancen-Aufenthaltsrecht"
Laut Moser wurden im Vorjahr 300 Duldungskarten ausgestellt. "Beim Versuch der Rekonstruktion aus den Statistiken, kommt man auf rund 1.800" Menschen. Das sei keine hohe Zahl, aber eine "Win-Win-Potenzial für Betroffene wie Unternehmen."
Österreich möge sich ein Beispiel an Deutschland nehmen, so Moser. Dort gebe es das "Chancen-Aufenthaltsrecht" für jene, die 18 Monate lang ihren Lebensunterhalt sichern können. Sie können ihre Ausbildung abschließen und - so sie sechs Monate durchgehend arbeiten - hernach auch eine Arbeitserlaubnis erhalten.
"Betriebssprache Deutsch"
"Wer in die Ausbildung investiert", sagt Moser, "der sollte als Arbeitgeber auch davon profitieren". Immer mehr Unternehmen würden direkt in Ausbildungen investieren, weiß der HR-Leiter der ÖBB-Infrastruktur Kreiter. Beginnend mit Sprachkursen. Diese sind bei den ÖBB insofern von besonderer Bedeutung, als dass "gesetzlich verankert ist, dass unsere Betriebssprache Deutsch ist".
Im Gegensatz zur Luftfahrt, in der man sich auf "Englisch geeinigt habe", so Kreiter, gebe es im internationalen Eisenbahnverkehr immer noch dieses Paradoxon. IT-Jobs würden bei den ÖBB auch für rein englischsprachige Mitarbeiter angeboten werden.