Politik/Inland

Karas rügt ÖVP-Kollegen: "Das stärkt Putins Spaltungsstrategie"

Steht die ÖVP noch hinter den EU-Sanktionen gegen Russland? In den vergangenen Monaten setzte es immer wieder Bekundungen, dass dem so sei. Nun deutet sich ein Richtungsstreit in der Partei an.

Möglicher Hintergrund: Die Stimmung in der österreichischen Bevölkerung hat sich zuletzt leicht gedreht. Laut einer APA/ATV-Umfrage glauben mittlerweile 42 Prozent nicht, dass die Sanktionen gegen Russland Wirkung zeigen. 26 Prozent sprechen sich dafür aus, die Sanktionen ganz zurückzunehmen.

Selbst aus dem Kanzleramt kamen am Sonntag Zweifel: „Es war immer unsere Position, dass die Wirksamkeit der Sanktionen von Zeit zu Zeit evaluiert werden muss“. Dabei sei zu überprüfen, „ob die Maßnahmen uns nicht mehr schaden als Russland“, so eine Kanzler-Sprecherin zu oe24.

Eine aktuelle Analyse der US-Elite-Universität Yale zeigte hingegen: Rund 1.000 Unternehmen hätten Russland seit Kriegsbeginn verlassen, die Energieeinnahmen seien trotz höherer Gaspreise gesunken und ein erheblicher Teil der wirtschaftlichen Aktivität im Land sei zum Erliegen gekommen. Durch den unternehmerischen Exodus seien fünf Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. "Russland hängt viel stärker von Europa ab als Europa von Russland", schlussfolgert die Expertengruppe.

Kickl unterstützt Stelzer und Mattle

Wie dem auch sei: Erste Stimmen in der Volkspartei dürften eher der fachlichen Einschätzung des Volksmundes folgen. Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) meinte, man müsse die Sanktionen überdenken, falls es im Herbst zu Energieengpässen kommt. Der Tiroler ÖVP-Obmann Anton Mattle zeigte sich "offen" gegenüber Stelzers Vorstoß.

Schützenhilfe erhielten die ÖVP-Landesgranden von FPÖ-Parteichef Herbert Kickl. Dieser nannte sie "Stimmen der ökonomischen Vernunft" innerhalb der ÖVP und forderte eine Volksbefragung über die Russland-Sanktionen.

Karas: "Schwächt europäische Einigkeit"

Othmar Karas (ÖVP), der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, trat den Parteikollegen nun entgegen, ohne sie namentlich zu erwähnen. "Wer jetzt der Lockerung oder dem Ende von Sanktionen das Wort redet, der schwächt die europäische Einigkeit, stärkt Putins Spaltungsstrategie und dessen barbarische Expansionspläne", warnte Karas auf Twitter. Und in Richtung Mattle, der am 25. September als ÖVP-Spitzenkandidat in die Tiroler Landtagswahl geht, meinte er: "Wir haben in dieser Frage vor der Geschichte zu bestehen - nicht vor der nächsten Wahl."

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Die Sanktionen gegen Russland würden wirken, betonte der EU-Mandatar: "Die Inflation ist mehr als doppelt so hoch wie bei uns, soziale Folgen sind enorm und Russland in der Welt isoliert. Zu glauben, wenn die Sanktionen beendet sind, würde alles wieder ,so wie früher', wäre ein geschichtsvergessener Fehler."

Dass die Inflation gefährliche Ausmaße annehme und bekämpft gehöre, sei ihm bewusst, so Karas: "Die Ursache der neuen Teuerungswelle sind aber nicht nur die Sanktionen, sondern Putins kriegerisches Treiben."

"Flexibles Werkzeug"

Das Außenministerium versuchte in einer Stellungnahme am Sonntag einen Spagat und erklärte, dass die Sanktionen "ein flexibles Werkzeug" seien und jederzeit angepasst werden können. Daher werde der entsprechende EU-Ratsbeschluss zu den Wirtschaftssanktionen in Brüssel auch halbjährlich überprüft.Gleichzeitig bekräftigte das Außenministerium die Wirksamkeit der Sanktionen. "Die Sanktionen wirken - jeden Tag ein Stück mehr. Die russische Wirtschaft wird dieses Jahr um mindestens sechs Prozent schrumpfen, andere Prognosen sprechen sogar von bis zu zehn Prozent. Für die EU erwartet die EU-Kommission hingegen ein Wachstum von rund 2,7 Prozent."

"Wir wollen eine regelbasierte Weltordnung, nicht das Gesetz des Dschungels, wo sich der Stärkere einfach holen kann, was er will. Wir können und werden es nicht zulassen, wenn im 21. Jahrhundert versucht wird, mit Panzern und Raketen Fakten zu schaffen und Grenzen zu verschieben. Putin rechnet damit, dass wir uns als pluralistische offene Demokratien auseinanderdividieren lassen, dass wir nicht den Willen haben, ihm rote Linien aufzuzeigen. Die größte Stärke der EU ist die Einigkeit, die müssen wir uns bewahren", so das Außenministerium.

Wie können EU-Sanktionen aufgehoben werden?

Eine Volksabstimmung, bei der die Mehrheit der Österreicher ein Ende der Sanktionen gegen Russland fordert, hätte keine Wirkung. Der Ruf von FPÖ-Chef Kickl für solch einen Schritt geht deshalb ins Leere.

Die einzige Möglichkeit, die Sanktionen zu beenden, liegt bei den 27 Außenministern der EU. Beim Rat in Brüssel müssten sie einstimmig für ein Ende der Sanktionen stimmen - oder dafür, wiederum einstimming, die Sanktionen nicht mehr zu verlängern. Auch wenn es immer wieder Bedenken einiger Länder gab, etwa Ungarns beim Ölembargo gegen Russland, haben bisher doch immer alle EU-Staaten relativ schnell zur Einigkeit - gegen die Politik Moskaus . gefunden. Eine Abkehr davon zeichnet sich bisher nicht ab.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar hat die EU sieben Sanktionspakete gegen Moskau verabschiedet, darunter ein Kohle- und Ölembargo. Rund 1.200 Personen in Russland stehen auf der EU-Sanktionsliste, sie dürfen nicht in die EU einreisen, ihr Vermögen wurde eingefroren.

 

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