Kanzler unter Verdacht: "Rechne mit einer Anklage"
Am Dienstag trudelte das brisante Schriftstück im Bundeskanzleramt ein. Am Mittwoch vor dem Ministerrat machte Kanzler Sebastian Kurz den Inhalt selbst publik: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft führt ihn als Beschuldigten.
Der Verdacht: Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss.
Die WKStA legt in dem Strafakt – er liegt dem KURIER vor – dar, was den Kanzler unter Verdacht brachte. Es geht um die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand.
ÖBAG im Zentrum
Schmid war zum Untersuchungszeitraum Generalsekretär im Finanzministerium gewesen, Kurz Kanzler der türkis-blauen Koalition. Es geht um die Diskrepanz zwischen dem, was Kurz im U-Ausschuss über seine Involvierung in die Schmid-Bestellung aussagte und dem, was aus dem SMS-Verkehr zwischen Schmid und Kurz sowie Schmid und anderen Beteiligten hervorgeht. Gegenüber dem Ausschuss hat Kurz seine Rolle passiv dargestellt. Auf die Frage von SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer, ob Kurz „im Vorfeld“ in die Bestellung Schmids eingebunden war, antwortete Kurz: „Eingebunden im Sinne von informiert, ja.“ – „Kriegst eh alles was du willst“, sagte Kurz jedoch per SMS zu Schmid, als dieser ihn um bestimmte ÖBAG-Befugnisse bat. Das klingt nach einer aktiven Rolle von Kurz.
Info-Unterdrückung
Und diese aktive Rolle legen auch andere Chatverläufe nahe, die in dem Strafakt der WKStA ausgeführt sind.
Eine Falschaussage kann nicht nur in einer Lüge, sondern auch in einer absichtlichen Informationsunterdrückung bestehen.
Wie geht es nun weiter? Darüber erkundigte sich der KURIER bei der WKStA und bei Georg Krakow von Transparency International.
Grundsätzlich ist die WKStA für Falschaussagen nicht zuständig. Wenn der Sachverhalt aber Teil eines anderen Verfahrens ist, kann sie sich auch einer Falschaussage annehmen. Gegen Kurz ist bei der WKStA (derzeit) nichts Weiteres anhängig.
Wie es weitergeht
Die nächsten Schritte sind laut Krakow folgende:
Schritt 1: Die WKStA wird entscheiden, ob sie selbst diesen Sachverhalt ermittelt oder an die Staatsanwaltschaft Wien abtritt. Laut KURIER-Informationen spricht einiges dafür, dass die Causa bei der WKStA bleibt, denn sie wurde bereits von der Staatsanwaltschaft Wien an die WKStA abgetreten.
Ausgangspunkt der Ermittlungen ist eine Anzeige der Opposition. Kurz, Finanzminister Gernot Blümel und Kanzler-Kabinettschef Bernhard Bonelli wurden wegen des Verdachts der Falschaussagen angezeigt. Aber nur gegen Kurz und Bonelli wird nun ermittelt. Laut WKStA gibt es bei Blümel „in diesem Zusammenhang derzeit keine Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht“.
Die WKStA untersucht bei Kurz jetzt das Protokoll seiner Aussagen im U-Ausschuss – die Befragungen waren ja länger und umfassten unterschiedliche Themen. Möglich, dass sich bei der Gelegenheit noch andere Verdachtsmomente ergeben, wenn man sie mit den Schmid-Chats vergleicht.
Schritt 2: Es wird durch Zeugenbefragungen, durch die Einvernahme des Beschuldigten etc. ermittelt, ob sich der Anfangsverdacht erhärtet oder nicht. Wenn nein, werden die Ermittlungen eingestellt. Wenn ja, wird es einen Strafantrag geben, der vom Weisenrat im Justizministerium zu genehmigen ist.
Schritt 3: Im Fall der Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt es zum Gerichtsverfahren vor dem Einzelrichter.
Im Fall einer Verurteilung gibt es eine Palette von Strafmöglichkeiten: Diversion, Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft. Krakow: „Es handelt sich um ein diversionsfähiges Delikt. Ob eine Diversion angeboten wird, entscheiden Staatsanwaltschaft oder Berufsrichter – jedenfalls fällt eine Diversionsentscheidung vor einem Urteil.“
Wie lange die Ermittlungen dauern werden, ist schwer abzusehen. Sie stehen erst am Anfang. Krakow glaubt aber, dass es sich eher um Monate als um Jahre handeln wird: „Die Sache ist ernst. Es gibt ein berechtigtes öffentliches Interesse, dass der Sachverhalt bald aufgeklärt wird. Es handelt sich beim Beschuldigten immerhin um einen sehr hohen Amtsträger.“
Kurz: Kein Rücktritt
Die SPÖ wird den Rücktritt des Kanzlers fordern in dem Fall, dass es zu einer Anklage kommt.
Kurz rechnet zwar mit einer Anklage, will aber in diesem Fall nicht zurücktreten. Er sagt, er würde einer Befragung durch einen Richter „sehr gerne nachkommen“. Er habe „selbstverständlich alle Fragen im U-Ausschuss immer wahrheitsmäßig beantwortet“.
Er wolle seine Arbeit fortsetzen, sagt Kurz und sieht keinen Grund für einen Rücktritt. Auch sein Kabinettschef bleibe, betont der Kanzler. Gefragt, ob denn eine Verurteilung zu einem Rückzug führen würde, meint Kurz: „Ehrlich gesagt kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen.“