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Jüdischer Protest gegen Rosenkranz: Edtstadler bedauert "Polarisierung"

"Der Kampf gegen Antisemitismus ist kein Sprint, sondern ein Marathon", sagt Karoline Edtstadler, Kanzleramtsministerin für Verfassung und Europa (ÖVP), anlässlich des heute in Wien stattfindenden "Forums gegen Antisemitismus". 

Präsentiert wurde dort eine Evaluierung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus, die Edtstadler im Jahr 2021 gestartet hat. 38 der insgesamt 41 Maßnahmen seien bereits umgesetzt, drei weitere seien in Umsetzung, erklärte die Ministerin (mehr dazu lesen Sie im unteren Teil dieses Artikels). 

Lob für Edtstadler und Regierung

Und dennoch: Die Zahlen der antisemitischen Übergriffe steigen. Die Politik allein könne das nicht lösen, die Zivilgesellschaft müsse mitmachen, betonte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) an der Seite Edtstadlers.   

Wobei er der Ministerin ein großes Lob aussprach: "Keine Regierung hat sich je so sehr im Kampf gegen Antisemitismus eingesetzt wie diese." Er bedauere sehr, dass Edtstadler der nächsten Regierung nicht mehr angehören werde.

"Gewaltfreier Protest" gegen Rosenkranz

So einig sich die beiden in der Sache sind - zu einem aktuellen Ereignis haben sie unterschiedliche Ansichten: Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) wurde am vergangenen Freitag von Mitgliedern der Jüdischen Hochschülerschaft der Zutritt zum Mahnmal am Judenplatz verwehrt, als er dort im Gedenken an die Opfer der Shoah einen Kranz niederlegen wollte. 

Auf Nachfrage eines Journalisten zeigt IKG-Präsident Deutsch Verständnis für den "gewaltfreien Protest" der Hochschüler. Es passe einfach nicht zusammen, wenn jemand, der - wie er sagt - "am Abend in den Keller geht und sich mit schlagenden, deutschnationalen Burschenschaftern umgibt", dann untertags den Opfern des Nationalsozialismus gedenken will.

Rosenkranz scheine überrascht gewesen sein, dass man ihn die Medien-Aktion nicht durchführen lasse, sagt Deutsch - und empört sich: "Was hat der Mann in seinem Kopf gehabt?"

Edtstadler sieht das "etwas differenzierter", wie sie erklärt. Zwar sei es jedem unbenommen, von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen, zu demonstrieren und eine Partei abzulehnen. "Ich finde es nur schade, in einer Gesellschaft zu leben, in der so polarisiert wird, in der es nur noch Schwarz und Weiß und keine Grautöne mehr gibt." 

Rosenkranz sei ein "demokratisch gewählter Nationalratspräsident", es wäre gut, so Edtstadler, Funktion, Person und Partei zu trennen. "Ich habe Sorge, wie es sonst gesellschaftlich weitergeht." 

Im ersten Halbjahr 2024 gab es bei der Antisemitismus-Meldestelle der IKG insgesamt einschlägige 808 Meldungen. Dies entspricht einer Zunahme um rund 160 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023. Die häufigste Erscheinungsform war der israelbezogene Antisemitismus. Die Zahlen im Detail:

  • Die Zahl der gemeldeten physischen Übergriffe von sechs im ersten Halbjahr 2023 auf nun 16. 
  • Von vier auf 22 stieg die Zahl der Bedrohungen
  • 92 antisemitische Sachbeschädigungen bedeuten eine Verdoppelung im Vorjahresvergleich.
  • Bei den Massenzuschriften stieg die Zahl von 77 auf 401 und bei verletzendem Verhalten von 179 auf 277.

Das sind die Maßnahmen

Bei der Nationalen Strategie gegen Antisemistismus sind mehrere Ministerien eingebunden - unter anderem Bildung, Inneres, Justiz, Verteidigung und das Kanzleramt. Ursprünglich wurden 38 Maßnahmen konzipiert, später kamen drei weitere mit dem Fokus auf Online-Antisemitismus hinzu. 38 der 41 Maßnahmen sind bis dato umgesetzt, drei weitere sind in Umsetzung. 

Eine kleine Auswahl der Maßnahmen im Überblick: 

  • Bildung: 

Die Plattform ERINNERN:AT entwickelt Lernmaterialien, angepasst an aktuelle Entwicklungen im Bereich Antisemitismus. Die Bundesländerkoordinatoren beraten Lehrpersonen niederschwellig in der Bildungsarbeit. So gibt es beispielsweise eine Handreichung mit Hintergrundinformationen und Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Holocaust-Leugnung und -Verzerrung im Unterricht.

2023 konnten 243 Fachveranstaltungen für Lehrpersonen organisiert und damit 2.500 Lehrpersonen erreicht werden. 

  • Kultur

Um das jüdische Leben und Kulturerbe in Österreich abzusichern, hat die Bundesregierung im Vorjahr die jährliche Zuwendung von vier auf sieben Millionen Euro erhöht.

  • Integration

Antisemitismus-Prävention ist integraler Bestandteil von Integrationskursen für Asylwerber und Migranten. 

Gefördert werden auch Jugendprojekte im Integrationsbereich, die über Radikalisierung, Propaganda, Antisemitismus und die Bedeutung von friedlichem Dialog zwischen Kulturen und Religionen aufklären. 

  • Strafverfolgung

Novelliert wurden während der türkis-grünen Regierungszeit erstens das Verbots-, das Symbole und das Abzeichengesetz. Demnach ist seit 1. Jänner 2024 jede Form der Verharmlosung des Nationalsozialismus strafbar - und nicht mehr nur das "gröbliche". Die Symbole der Hamas, der PKK und der Grauen Wölfe sind verboten.

  • Dokumentation und Vernetzung

Die Erfassung antisemitischer Vorfälle wurde intensiviert, zudem wurde ein "Flagging System" bei der Polizei eingeführt. Sie "markiert" Vorfälle, die einen antisemitischen Hintergrund haben könnten in ihrem Protokollierungssystem. 

Initiiert wurde 2022 auch eine "European Conference on Antisemitism" zum wechselseitigen Austausch der EU-Mitgliedstaaten.