Politik/Inland

Familienbeihilfe: Österreich wird vor dem EuGH verklagt

Sie war eine der umstrittensten Projekte der früheren türkis-blauen Regierung: die Indexierung der österreichischen Familienbeihilfe:

Seit Jänner 2019 erhalten an die 130.000 Kinder weniger Kindergeld vom österreichischen Staat. Ihre Eltern arbeiten in Österreich, sie selbst aber leben in EU-Staaten, wo etwa wie in Ungarn oder der Slowakei die Lebenshaltungskosten wesentlich niedriger sind.

Daher sei es nur fair und gerecht, so lautete stets die Argumentation Wiens, die Kindergeldkosten entsprechend anzupassen. Die Familienbeihilfe wird als eine Sachleistung gesehen, die auf den jeweiligen Bedarf von Kindern abzielt.

Kinder in Ungarn oder Rumänien oder anderen osteuropäischen Staaten erhalten deshalb nur noch rund die Hälfte der bisherigen Familienbeihilfe. Insgesamt erhoffte die Regierung mit der Maßnahme rund 114 Millionen Euro pro Jahr einzusparen.

Vertragsverletzungsverfahren

Die EU-Kommission als Hüterin der EU-Gesetze hatte dies allerdings immer anders gesehen und schon im Jänner des vergangenen Jahres ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet: Das Vorgehen Wiens sei mit EU-Gesetzen nicht vereinbar und "unfair", hieß es: Die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern sei bedroht.

Die Argumentation der Kommission: Wer durch seine Arbeit zum Sozialsystem eines Landes beitrage, habe auch Anspruch auf die gleichen Leistungen: "Auch wenn deren Kinder im Ausland leben. Es gibt in der EU keine Kinder zweiter Klasse."

Aschbacher: "Eine Frage der Gerechtigkeit"

Briefe und Argumente wurden seither zwischen Wien und Brüssel ausgetauscht, doch auch die seit Jänner arbeitende türkis-grüne Regierung hielt an der Linie fest: Die Indexierung des Familiengeldes bleibt.

Alle Inhalte anzeigen

"Es steht der EU-Kommission frei, den EuGH zu befassen, wenn diese Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit der Indexierung hat", sagte Familienministerin Christine Aschbacher in einer ersten Reaktion auf die Klagsankündigung. Aber "für uns bleibt es aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in der EU weiterhin eine Frage der Gerechtigkeit."

Eigentlich liegt der Fall der Indexierung der Familienbeihilfe schon seit Ende April beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Vorgelegt hat ihn das österreichische Bundesfinanzgericht.

Anlassfall war die Beschwerde einer tschechischen Grenzpendlerin. Die Mutter zweier Kinder lebt mit ihrer Familie in Tschechien, arbeitet aber in Österreich. Nach der von der früheren türkis-blauen Regierung beschlossenen "Indexierung" hat das Finanzamt ihre Familienbeihilfe um 140 Euro gekürzt.

Die Frau erhob daraufhin Beschwerde beim Bundesfinanzgericht, das wiederum vorgeschlug, die Causa vom Europäischen Gerichtshof klären zu lassen. Weitere 38 Beschwerden gegen die Indexierung liegen dem Gericht in Österreich vor.

In der Coronakrise war zuletzt wieder Kritik an der Maßnahme laut geworden, weil sie auch dringend benötigte 24-Stunden-Pflegerinnen trifft. Dennoch lehnt die ÖVP die Rücknahme der Indexierung zuletzt ab und will die Entscheidung des EuGH abwarten.

Nachzahlungen drohen

Rechtsexperten in Brüssel sind stets geschlossen davon ausgegangen, dass sich Österreich mit der Familiengeldindexierung in der EU nicht durchsetzen wird. Wäre dem so, würde sofort ein nächstes, riesiges Problemfeld aufgehen: Jenes der Pensionszahlungen an Rentner, die im EU-Ausland leben.

Dann würde etwa ein deutscher Pensionist, der seinen Lebensabend  in Spanien verbringt, weniger Pension erhalten, weil die Lebenshaltungskosten in Spanien niedriger sind.

Verliert Österreich vor dem EuGH, dürfte die Republik nach Meinung von Rechtsexperten dazu verdonnert werden, die nun eingesparten Beträge nachzuzahlen.