Erdogan polarisiert die Austrotürken
Von Bernhard Ichner
Die Demonstrationen in der Türkei, die Polizeigewalt am Istanbuler Taksim-Platz und die daraus resultierende Aussetzung der EU-Beitrittsgespräche machen in der türkisch-stämmigen Bevölkerung Österreichs Differenzen sichtbar. Auch am Samstag setzte die Polizei am Taksim-Platz Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, nachdem sich mehrere zehntausend Menschen versammelt hatten. Diesen Sonntag demonstrieren in Wien sowohl Befürworter der türkischen Regierungspartei AKP und ihres Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, als auch dessen Gegner. Der KURIER ließ Vertreter beider Seiten zu Wort kommen.
Unter dem Titel „Unterstützung für Erdogan“ will sich eine Gruppe türkisch-stämmiger Wiener auf dem Favoritner Columbusplatz Gehör verschaffen. Von dort marschieren die Teilnehmer ab 13 Uhr über Getreidemarkt und Mariahilfer Straße bis zum Westbahnhof.
Bilder von den Demos in Wien
Trotzreaktion
Bei der Polizei gaben die Organisatoren eine Beteiligung von etwa 1000 Personen an. Nach polarisierenden Aussagen des grünen Bundesrates Efgani Dönmez und seines Parteifreundes Peter Pilz spekuliert ein Sprecher der Initiative aber mit zehn Mal so vielen.
Wie berichtet, regte Pilz am Tag, nachdem sich Dönmez von seinem umstrittenen „5000 One-Way-Tickets“-Sager distanziert hatte (mehr dazu hier), in einem Standard-Interview an, vor der Verleihung von Staatsbürgerschaften an türkische Immigranten deren politische Einstellung zu prüfen. Erdogan-Befürworter fühlen sich davon provoziert und kündigen an, „jetzt erst recht“ demonstrieren zu gehen.
Bei der Wiener Landespolizei wurden bis Freitagnachmittag aber auch drei Demonstrationen contra Erdogan angemeldet. Eine Gruppe marschiert ab 12 Uhr vom Herbert-von-Karajan-Platz bis zur Prinz-Eugen-Straße. Eine weitere Kundgebung findet ab 17 Uhr auf dem Neuen Markt und eine dritte ab 18.30 Uhr im Resselpark vor der Karlskirche statt.
Begegnen werden sich Pro- und Contra-Demonstranten laut Polizei nirgends.
„Jeder muss seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten“
Abdurrahman Karayazili (26) ist Bauingenieur und studiert berufsbegleitend an einer FH. Er wurde in Wien geboren und kommt aus gutbürgerlichem Haus. In Österreich lebt er gerne, „hier wird man für Leistung belohnt“. „Um dem Land etwas zurückzugeben“, ging er zum Bundesheer – und fand dort ein „Daham statt Islam“-Poster auf seinem Spind.Karayazili ist nicht nur Mitorganisator der Pro-Erdogan-Demo, sondern auch Mitbegründer des Integrationsvereins „Gemeinsam für Wien“, der das Verhältnis von Österreichern und Migranten verbessern will. „Jeder muss seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten“, sagt er.Mit der Pro-Erdogan-Demo wolle man nicht die Auslandspolitik nach Österreich importieren. „Das haben andere getan: Es gab schon eine Contra-Erdogan-Demo. Wir wollen jetzt bloß einiges richtigstellen.“Zu den Demonstrationen in der Türkei meint er: „Am Anfang waren die Demos friedlich und ohne Vandalismus. Da war der Polizeieinsatz ein Fehler. Ich bin für Demokratie und Meinungsfreiheit. Aber als nach drei Tagen Molotow-Cocktails und Steine geworfen, Geschäfte zertrümmert und Fahrzeuge in Brand gesteckt wurden, hat die Polizei auf den Vandalismus so reagiert, wie sie es in jedem anderen europäischen Land auch tun würde.“Zudem habe Erdogan die Oppositionsvertreter zu Gesprächen eingeladen.
„Die EU sollte den Weg der Reformen unterstützen“
Resul Yalcin(38) ist zwar kurdischer Herkunft, betrachtet die AKP aber trotzdem als „die beste Alternative“. Seine Familie flüchtete nach dem Militärputsch von 1980 nach Österreich. Der praktizierende Muslim leistete hier Zivildienst und arbeitet in der IT-Branche. Über sich selbst sagt er: „Ich denke liberal, ich finde die EU gut und auch, dass Grenzen wegfallen. Ich bin überzeugter Pazifist.“„Die Österreicher werden von westlichen Medien falsch über die Entwicklungen in der Türkei informiert“, meint Yalcin. Bei der Pro-Erdogan-Demo will er mit Gleichgesinnten „vieles richtigstellen“. „Der Vorwurf, Erdogan sei ein islamischer Diktator, ist lächerlich. In Österreich weiß man, was ein Diktator ist.“Für Yalcin hat die Regierung Erdogan viel erreicht. „Vor Erdogan gab es die Ignoranz gegenüber den Kurden, wirtschaftliche Rückständigkeit, kein ordentliches Gesundheitssystem, in dem sich jeder überall behandeln lassen kann, und einen massiven politischen Einfluss des Militärs. All das hat sich verändert. Außerdem hat die Türkei jetzt eine stabile Währung und eine Inflation unter fünf Prozent. Aber alle die Erfolge, die für das Land erreicht wurden, werden von der Opposition nicht gewürdigt. Man macht aus einem demokratischen Menschen einen Faschisten. Das enttäuscht mich.“„Die EU“, findet Yalcin, „sollte den Weg der Reformen weiter unterstützen.“
„Wenn Vandalen aktiv sind, muss der Staat eingreifen“
Ebru C (20) bereitet sich zurzeit auf ihre HAK-Matura vor und möchte sich in Österreich eine Zukunft aufbauen. Fürs Erste hat sie sich auf dem Flughafen Schwechat für die Passagier- und Gepäckkontrolle beworben, langfristig würde sie gern im Tourismus arbeiten. C., die in Wien geboren wurde und „aus einer modernen türkischen Familie kommt“, ist österreichische Staatsbürgerin. Ein Kopftuch tragen weder sie, noch ihre Mutter.Am Sonntag möchte die junge Frau an der Pro-Erdogan-Kundgebung teilnehmen. Die Demos in der Türkei haben für sie mittlerweile „ihren demokratischen Charakter verloren“. „Demonstrationen selber finde ich okay. Aber wenn Provokateure und Vandalen aktiv sind, bin ich dagegen. Da muss der Staat eingreifen.“Auch, dass Erdogan-Gegner gern von einem „Alkoholverbot“ sprechen, stört C. Für sie handelt es sich „um eine Alkoholregelung, wie es sie in anderen europäischen Ländern auch gibt. Ich finde Alkoholkonsum im öffentlichen Bereich, wo sich auch Kinder aufhalten, riskant. Dass von 22 bis 6 Uhr an öffentlichen Plätzen und in der Nähe von Schulen kein Alkohol getrunken werden darf, ist gut.“Der One-Way-Ticket-Sager des grünen Bundesrates Efgani Dönmez hat die Schülerin zwar empört, sie nimmt es aber mit Humor. „Das Ticket in die Türkei kann er mir ruhig geben, den Rückflug zahl’ ich mir selber.“
„Erdogan hat zu viel Einfluss auf die Gewalten im Staat“
Murat Barlan(50) ist Chirurg am Kaiser-Franz-Josef-Spital (SMZ-Süd). Er lebt seit dem Studium in Wien und hat die österreichische Staatsbürgerschaft. In seiner Freizeit ist der vierfache Vater Obmann des „Vereins zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Österreich“.Vorigen Sonntag veranstaltete der Verein in Favoriten eine Demonstration gegen Erdogan und seine AKP. „Wir haben uns mit den Demonstranten in der Türkei solidarisiert“, erklärt Barlan. „Die Gewalt gegen die Protestierenden im Gezi-Park war bloß der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Jetzt geht es um Freiheit und Gerechtigkeit. Die AKP will aus einem demokratisch-laizistischen Rechtsstaat (damit ist die Trennung von Kirche und Staat gemeint) einen Sharia-Gottesstaat machen. Die Türkei ist auf dem Scheideweg.“Nach Barlans Meinung hat Erdogan zu viel Einfluss auf die Gewalten im Staat. „Er kontrolliert nicht nur Legislative, Exekutive und Judikative – er spricht ja von ,seiner‘ Polizei und ,seinen‘ Richtern. Er kontrolliert auch den Großteil der Medien. Ich denke, dass viele Erdogan-Anhänger geblendet sind.“„Erdogan nennt die Demonstranten Gesindel, marginale Randgruppen und Terroristen. Da kriege ich solche Kabeln – da sind Jugendliche, Mütter und alte Leute dabei.“ Zudem kritisiert der Arzt, dass „durch die Polizeigewalt fünf Menschen starben und Tausende verletzt wurden.“
„Die AKP dringt in die Privatsphäre der Bürger ein“
Süreyya Ates-Genc(34) arbeitet in der Finanzbranche und lebt in der zweiten Generation in Österreich. Sie ist türkische Staatsangehörige, hat aber eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Ihre Familie würde sie als modern einstufen, ein Kopftuch trägt sie nicht. Die zweifache Mutter ist Kemalistin – also Anhängerin des Staatsgründers Kemal Atatürk. „Wir werden oft als ungläubig hingestellt, aber das stimmt nicht – ich glaube an Gott und feiere auch die religiösen Feiertage“, sagt sie.Premier Erdogan repräsentiert für Ates-Genc nicht das gesamte türkische Volk, sondern bloß seine Anhänger. „Er polarisiert zu viel“, meint sie. „Wir machen keinen Unterschied zwischen Kurden, Aleviten und anderen – wir sind eine Nation. Aber Erdogan betont immer die Unterschiede zwischen den Ethnien. Und das spaltet sie letztlich.“„Sein Demokratie-Verständnis stört mich ebenfalls. Für ihn ist Demokratie ein Vehikel, das ihn an sein Ziel bringt und aus dem er aussteigen kann. Im Parlament hat er gesagt, die Demonstranten sollten ihn nicht reizen, weil er seine Anhänger sonst kaum im Zaum halten könne. Das ist doch indiskutabel.“Dazu käme, „dass die AKP in die Privatsphäre der Menschen eindringen will. Etwa, wenn Erdogan Paaren sagt: ,Macht fünf Kinder!‘ oder wenn man Alkohol verbieten will.“
„Eine Demokratie braucht eine unabhängige Justiz“
Tezer Ulusay de Groot (62) war früher für die Vereinten Nationen tätig und engagiert sich jetzt ehrenamtlich für den Atatürk-Kulturverein in Favoriten. Sie ist „eine stolze Türkin“, hat neben der türkischen die niederländische Staatsbürgerschaft und versteht sich als Weltbürgerin.Für sie ist die AKP keine demokratische Partei. „Es gibt einen Chef, der alles bestimmt: Erdogan. Und Präsident Gül glaubt nicht einmal an die Republik.“Die von Erdogan-Anhängern gefeierten Reformen, die unter der Regierung Erdogan umgesetzt worden seien, beurteilt de Groot kritisch: „Was hat er denn reformiert? Er hat das ganze Bildungssystem durcheinander gebracht. Viele Schüler sind jetzt Koranschüler geworden und in manchen Gemeinden gibt es gar keine normalen Schulen mehr. Das ist kein Fort-, sondern ein Rückschritt. Das ist eine Katastrophe für die Türkei. Er will eine ,gläubige und rachsüchtige Generation‘ heranzüchten.“„Und auch das Justizsystem hat er durcheinander gebracht. 200 Prozent sind jetzt unter seiner Kontrolle. Aber in einer Demokratie braucht es eine unabhängige Justiz.“Im Gegensatz zu vielen Erdogan-Sympathisanten, die eine „Alkoholregulierung“ begrüßen, spricht auch de Groot von einem „Alkoholverbot“.Zwischen 22 und 6 Uhr darf im öffentlichen Raum kein Alkohol verkauft werden. Für sie ein Eingriff in die Privatsphäre.
Experte Kenan Güngör sprach mit dem KURIER über die politische Einstellung türkisch-stämmiger Menschen in Österreich.
KURIER: Warum sympathisiert ein Großteil der Menschen türkischer Herkunft mit der AKP von Recep Tayyip Erdogan?Kenan Kenan Güngör:Die meisten Kurden und ein überwiegender Teil der Aleviten würde eher nicht AKP wählen, ebenso wenig die Kemalisten und die links-liberalen. Um die 50 Prozent sind aber AKP-nahe. Das hat zwei Gründe: Zum einen vereint die AKP verschiedene Strömungen in sich: gemäßigt-traditionelle Muslime, liberale sowie den streng religiösen Teil. Zum anderen propagiert die AKP einen gemäßigten Islam in der Türkei.
Warum identifizieren sich Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile in Österreich haben, immer noch so stark mit der Türkei? Gerade in unserer globalen digitalen Welt entsteht durch neue Medien wieder mehr Nähe. Für viele Migranten heißt es nicht „entweder, oder“ – sie haben Familie und Freunde in ihren Ursprungsländern. Durch die gesteigerte Mobilität werden sie nicht einheimisch, sondern mehrheimisch. Dazu kommt der Zusammenhang von Konflikt und Reethnisierung: Je stärker in Ursprungsländern gesellschaftliche Spannungen oder auch Katastrophen entstehen, desto stärker ist die Reethnisierung der Migrationsbevölkerung.
Zu welchen österreichischen Parteien tendieren die türkischstämmigen Österreicher? Das ist eigentlich ein großer Widerspruch – aber einer, der erklärbar ist: Viele Türken sind traditionell-religiös-konservativ, einige auch nationalistisch. Das ist eher konträr zu den Wertepräferenzen von SPÖ und Grünen. Aber konservativ eingestellte Türken erwarten von den Konservativen in Österreich, dass sie ihnen eher feindlich gegenüberstehen. SPÖ und Grüne beleidigen sie dagegen nicht und unterstützen sie.
Der eine Sager war schlicht dumm, der zweite nicht zu Ende durchdacht. Aber die Reaktionen der Grün-Politiker Dönmez und Pilz auf die hiesige Unterstützung des Türken-Premiers Erdogan eröffnen die Chance auf eine bisher sträflich vermiedene Diskussion über die Probleme mit der türkischen Migration diesseits von „Daham statt Islam“.
Einmal mehr hat bisher die reflexartige Abgrenzung von jeglicher FPÖ-Position die klare Sicht und die deutliche Ansprache real existierender Missstände blockiert. Denn abseits der blauen Hetze stimmt: Nicht alle Türken haben Integrationsprobleme, aber ein Großteil dieser Probleme fokussiert sich bei den türkischen Zuwanderern.
Die heutige Demonstration der Erdogan-Anhänger in Wien belegt etwa deutlich, dass große Gruppen der hiesigen Türken-Community politisch in ihrer Heimat verblieben, über staatlich organisierte und finanzierte Vereine aus Ankara ferngesteuert sind. Vielen bestens integrierten, modernen Turko-Österreichern wie Dogoudan oder Kutoglu stehen Zehntausende Immigranten mit tiefer sozialer Verwurzelung mit ihrer Heimat gegenüber, die in keiner Weise in dieser unserer Gesellschaft angekommen sind oder auch ankommen wollen.
Statistiken fehlen oder lügen
Die seriöse Diskussion über die Probleme mit vielen Türken wird politisch korrekt absichtlich erschwert. Einschlägige Statistiken, wie sie im europäischen Ausland selbstverständlich sind, fehlen oder sie werden manipuliert eingesetzt und lügen.
So werden beispielsweise bei der Kosten-Nutzen-Rechnung der Integration für den Sozialstaat immer nur die positiven Globalzahlen für alle Immigranten zitiert. Dabei verschleiert der hohe Anteil der überwiegend bestens integrierten Zuwanderer aus der EU die deutlich negative Bilanz der türkischen Immigranten.
Die weit über dem Landesdurchschnitt liegenden negativen Zahlen Wiens im Sozial- und Bildungsbereich haben zu einem guten Teil ihre Basis beim hohen Anteil schlecht bis gar nicht integrierter Türken in den untersten Sozial- und Bildungsschichten. Dass gerade dieser Teil der Türken-Community durch weit überdurchschnittliche Geburtsraten rasant steigt, verschärft die Lage.
Weiteres Negieren oder Schönreden dieser immer noch wachsenden Probleme nützt nur den politischen Ausländerhetzern. Und importiert zusätzlich innenpolitische Spannungen der Türkei.
Lösen kann man Probleme bekanntlich nur, wenn man sie zuerst einmal konkret erkennt und offen anspricht. Es muss seriös, aber ohne angezogene ideologische Handbremsen alles diskutiert werden, was gegen ein weiteres Anwachsen einer sozial in jeder Weise abgehängten türkischen Parallelgesellschaft zu tun ist.
Da hat unsere Gesellschaft gewiss noch sehr viel zu leisten. Aber gleichzeitig muss klar sein, dass politisch oder religiös radikalisierte Gegner der Demokratie in dieser Gesellschaft keinen dauerhaften Platz haben.