Politik/Inland

Nemzow: "Geständnis" legt islamistisches Motiv nahe

Noch geht die staatliche Ermittlungsbehörde von mehreren Versionen für den Anschlag auf den russischen Oppositionsführer Boris Nemzow aus. Er war Freitag vorvergangener Woche in Moskau unweit des Kremls erschossen worden. Regimekritiker fürchten indes, das Geständnis des Hauptverdächtigen – Saur Dadajew, ein Mann aus dem muslimisch geprägten Nordkaukasus – würde die "islamische Spur" zur einzig möglichen reduzieren. Alle andere Versionen würden nur noch pro forma verfolgt.

Wie die russische Nachrichtenagentur Rosbalt unter Berufung auf Ermittler berichtet, hat Dadajew bei Vernehmungen Sonntagabend die Verantwortung für die Todesschüsse übernommen. Zwei Cousins, die seit Jahren im Moskauer Umland lebten, hätten ihn bei der Vorbereitung des Anschlags unterstützt und zwei weitere Komplizen rekrutiert. Als Motiv nannte Dadajew abfällige Äußerungen Nemzows über Muslime, den Propheten Mohammed und den Islam.

Charlie Hebdo

Zwar hatte Nemzow sich im Jänner nach dem Anschlag auf das Pariser Satire-Magazin Charlie Hebdo in seinem Blog mit den Karikaturisten solidarisiert und in den Nullerjahren, als Kreml und Regierung ein Programm zur Steigerung der Geburtenfreudigkeit auflegten, um den dramatischen Bevölkerungsrückgang zu stoppen, Bedenken angemeldet. Davon würden vor allem die Muslim-Regionen profitieren, hatte Nemzow gewarnt – das sei daher eine Gefahr für Russlands Zukunft.

Abfällig über den Islam, so Oppositionspolitiker Ilja Jaschin bei Radio Echo Moskwy, habe Nemzow sich indes nie geäußert. Er sei in Glaubensdingen "absolut tolerant" gewesen, so Jaschin, der mit Nemzow eng befreundet war. Geständnis und Tatmotiv seien daher "Blödsinn" und "Ergebnis eines politischen Auftrags vom Kreml".

Gleich zu Beginn der Ermittlungen hatte ein anderer Kremlkritiker – Alexej Nawalny – die Auftraggeber des Anschlags in staatsnahen Organisationen vermutet. Die Suche nach den Hintermännern, auf die Jaschin, Nawalny und andere Kampfgefährten bestehen, hat sich mit dem Geständnis indes wohl erledigt: Damit übernahm der Mörder auch die volle Verantwortung für die Planung. Spektakuläre Enthüllungen, ätzten Medien in ihren gestrigen Online-Ausgaben, seien in der Causa Nemzow daher nicht mehr zu erwarten.

"Wahrer Patriot"

Doch womöglich kann Tschetschenen-Präsident Ramzan Kadyrow liefern. Er schildert den Mörder beim Foto-Nachrichtendienst Instagram als "wahren Patrioten Russlands!", für das er als Vize-Bataillonskommandeur bei den Truppen des Innenministeriums mehrfach das Leben riskierte. Derzeit werde geprüft, warum er den Dienst quittierte. Seine Radikalisierung müsse danach erfolgt sein.

Peinlich nur, dass Kadyrow den Mord zunächst westlichen Geheimdiensten anlastete, die Russland destabilisieren wollten. Putin hängte Kadyrow dennoch gestern den "Orden der Ehre" um (mehr dazu hier).