Barbara Prammer: Abschied mit einem Staatsakt
Von Maria Kern
Draußen, auf der Brüstung oberhalb des Parlamentseingangs, hat jemand dunkelrote Rosen niedergelegt. Die österreichische Flagge auf dem Dach des Hohen Hauses ist samt Trauerflor auf Halbmast gesetzt.
Drinnen trifft man fast nur schwarz gekleidete Menschen. Es ist still in der Säulenhalle. Keiner traut sich laut zu sprechen. Aus Respekt vor der verstorbenen Nationalratspräsidentin – Barbara Prammer hat Samstagnachmittag den Kampf gegen ihr Krebsleiden verloren.
Bundespräsident Heinz Fischer brachte im ORF zum Ausdruck, was wohl viele dachten: „Alle waren überrascht, dass die Frist, die ihr bemessen war, so kurz war.“
Daheim eingeschlafen
Die protokollarisch zweithöchste Frau des Landes hatte fast bis zuletzt ihr Amt ausgeübt. Anfang Juli war Schluss. Eine Infektion war zur Krebserkrankung hinzugekommen. Die erste Frau an der Spitze des Parlaments übergab ihre Agenden an Karlheinz Kopf, den Zweiten Nationalratspräsidenten – und begab sich wieder einmal ins Spital. Dort zu sein, war ihr ein Gräuel. Daher verbrachte sie sogar das Wochenende vor ihrem Tod noch in ihrer Wohnung in Wien. Erst am vergangenen Montag ging sie wieder ins AKH, wo sie seit September 2013 betreut worden war.
Zwei Tage später, am Mittwoch, war klar, dass es keine Hilfe mehr gibt. Prammer wurde „in die palliative Pflege entlassen“, schildert Onkologe Christoph Zielinski. Es sei der Wunsch der prominenten Patientin gewesen, nach Hause zu gehen.
Daheim kümmerten sich Sohn Bertram (41) und Tochter Julia (33), die Geschwister (zwei Schwestern, ein Bruder) und das Hospizteam des AKH intensiv um die 60-Jährige. Auch Krebshilfe-Ärztin Ursula Denison kam immer wieder vorbei.
Samstagnachmittag wurde in der Wohnung klassische Musik eingeschaltet. Um 15.04 Uhr ist Barbara Prammer „friedlich eingeschlafen“, erzählt ihr Pressesprecher Gerhard Marschall. Zu ihm hatte „die Chefin“ noch vor Kurzem gesagt: „Es ist höchste Zeit, dass ich wieder zurückkomme.“ Das war ihr nicht vergönnt. Prammers Schwestern mussten den betagten Eltern in Oberösterreich die traurige Nachricht überbringen.
Wo Prammer begraben wird (in Wien oder in Oberösterreich), war vorerst noch nicht entschieden.
Barbara Prammer: Werdegang in Bildern
Der Tod von Barbara Prammer wirft einige Fragen auf und macht zahlreiche Vorbereitungen vonnöten.
Im Parlament wurde für Montag eine Sondersitzung der Präsidiale anberaumt. Mit dabei sind neben dem Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf und dem Dritten Präsidenten Norbert Hofer die Klubchefs aller Fraktionen.
Schon am Sonntag war klar, dass es noch im Sommer eine Sondersitzung des Nationalrats geben wird, um den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Prammer wählen zu können. Denn die erste reguläre Plenarsitzung steht erst am 24. September auf dem Parlamentskalender.
Kopf sagte am Sonntag, er gehe davon aus, dass die Sondersitzung „in gebührendem Abstand zu den Trauerfeierlichkeiten“ – voraussichtlich Ende August – stattfinden wird. Der Termin soll heute festgelegt werden.
Eine gesetzliche Frist, bis wann spätestens ein neuer Nationalratspräsident gekürt werden muss, gibt es nicht, erläuterte Parlamentsdirektor Harald Dossi. Einstweilen führen die Präsidenten Kopf und Hofer die Amtsgeschäfte.
Über die Frage, wer die Funktion der Verstorbenen übernehmen könnte, wollte gestern niemand offen reden. Das solle erst nach der Trauerfeier Thema werden, sagten SPÖler. Insider meinen, dass es wieder eine Präsidentin geben könnte. Das wäre gewiss in Prammers Sinne. Gewählt werden kann nur jemand, der ein Nationalratsmandat besitzt. Eine Persönlichkeit wie Barbara Prammer zu finden, ist freilich nicht einfach.
Im SPÖ-Klub gibt es aktuell 16 Frauen. Einige von ihnen scheiden aus, weil sie zu jung und/oder zu unerfahren sind. Möglich wäre auch, dass eine SPÖ-Ministerin auf ihr Amt verzichtet – und wieder ins Parlament zurückkehrt. Frauen- und Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat bei der Nationalratswahl etwa auf der SPÖ-Liste kandidiert. Ebenso Verkehrsministerin Doris Bures. Käme eine der beiden ins Parlament, müsste ein SPÖ-Mandatar auf seinen Sessel verzichten – und natürlich der Posten in der Regierung nachbesetzt werden. Bekommt ein Abgeordneter den Job, wäre das hinfällig.
Trauerfeier Zunächst aber steht das Begräbnis an. Wann es stattfinden wird, ist noch unklar. Kopf sagte am Sonntag, es werde „frühestens in einer Woche“ so weit sein. Prammer steht ein Staatsbegräbnis zu, weil sie im Amt verstorben ist. Ob es dazu kommt, entscheiden aber die Angehörigen. Ein Staatsakt in Wien, also eine Trauerfeier mit den Spitzen der Republik, ist jedenfalls geplant.
Die Bestürzung über den Tod der Nationalratspräsidentin wirkt echt – quer über alle Lager hinweg. Barbara Prammer hat sich in ihrer letzten Funktion Respekt erarbeitet, aber die Sympathie und das Mitgefühl einer breiten Öffentlichkeit kam mit der Bekanntgabe ihrer Krankheit. Ist es nicht traurig, dass Politiker erst dann Autorität erlangen, wenn sie ihre Funktion längst niedergelegt haben, wenn sie gestorben oder von einem Schicksalsschlag betroffen sind?
Leider gilt für Politiker immer die Schuldsvermutung. Das Pflaster ist hart, dementsprechend groß sind die Nachwuchsprobleme. Wer ist schuld? Vor allem viele Politiker selbst, die den politischen Mitbewerber permanent abwerten, jede Idee des anderen in Grund und Boden stampfen. Das vergiftet das politische Meinungsklima. Aber es ist auch das Volk, das vor dem Amtsträger buckelt, aber hinter seinem Rücken das Hexenkreuz macht. Und sind sich die Medien ihrer Verantwortung immer bewusst? Der medial beispiellos gejagte (aber auch äußerst ungeschickte) deutsche Ex-Bundespräsident Christian Wulff meinte jüngst in einem Spiegel-Interview, er wünsche sich "Wahrung der Verhältnismäßigkeit". Die fehlt auch hierzulande nicht selten.
Dieser Tage vor genau 100 Jahren haben Politik und Diplomatie versagt, der Erste Weltkrieg begann. Österreich ist heute Gott sei Dank Teil einer EU, in der sich Deutschland und Frankreich nicht mehr blutig bekämpfen. Aber rund um uns brodelt es wieder, und die Wirtschaftskrise ist nicht ausgestanden. Es ist auch heute nicht egal, wer regiert. Barbara Prammer war es in ihren letzten Lebensjahren gelungen, vermittelnd, fair und wenig populistisch zu agieren. Ein bisschen mehr Anteilnahme, weniger Häme und Respekt für alle, die sich ums Gemeinwohl mühen, wäre ein schönes Vermächtnis.
„Mit Barbara verliert Österreich eine Frau, die sich ganz besonders intensiv für andere Menschen eingesetzt hat und ein tiefes Gespür für Ungerechtigkeit entwickelt hat, der sie Zeit ihres politischen Lebens mit aller Kraft entgegengetreten ist.“
Ex-Kanzler Viktor Klima
„Prammer war eine echte Persönlichkeit und große Kämpferin mit Herz und Leidenschaft. Sie war überzeugend, mutig, offen, integer, gerecht, konsequent und kompetent. Sie gab immer 100 Prozent, meistens sogar mehr! Das ist ein unersetzbarer Verlust für Österreich.“
SPÖ-Seniorenchef Karl Blecha
„Mit dem Tod Barbara Prammers verliert unser Land eine herausragende Persönlichkeit und engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen. Soziale Gerechtigkeit war ihr immer ein Herzensanliegen, Menschlichkeit stand an erster Stelle.“
Minister Rudolf Hundstorfer
„Ich bin tief erschüttert über das viel zu frühe Ableben unserer Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Mit ihrem Tod verliert Österreich eine große Staatsfrau und einen großartigen Menschen. Prammer war ein Vorbild, nicht nur im offenen Umgang mit ihrer Krankheit, sondern auch im Kampf für eine Stärkung des Parlamentarismus und als aktive Frauenpolitikerin.“
Georg Kapsch, Präsident der Industriellen-Vereinigung
„Barbara Prammer war eine beeindruckende Politikerin. Sie stand für den Kurs, dass sich das offizielle Österreich durch seine Volksvertretung der Vergangenheit stellt und Verantwortung übernimmt. Prammer hat auch keine Befreiungsfeier in Mauthausen versäumt. Es war ihr ein besonderes Anliegen, dass es hier kein Vergessen gibt“.
Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof
„Die Nachricht über den Tod von Barbara Prammer erfüllt die Israelitische Kultusgemeinde mit großer Trauer. Die Präsidentin des Nationalrates war der jüdischen Gemeinde in ihrem Wirken eng verbunden. Ihr Eintreten für Prinzipien wie Gerechtigkeit und menschlichen Anstand, sowie ihr Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung waren für Sie keine politischen Wortspenden, sondern tiefe persönliche Überzeugung, die sie im Laufe ihres politischen Werdeganges nicht ablegte. Wir verlieren mit ihr einen edlen, wertvollen, ganz besonderen Menschen. Sie wird nicht nur uns, sondern der ganzen Republik fehlen."
IKG-Präsident Oskar Deutsch
„Ihr Mut und ihr Eintreten für Solidarität in der Gesellschaft macht die Verstorbene unvergessen.“
Türkische Kulturgemeinde in Österreich
Sie hatte noch ein großes Ziel in ihrem Leben: Sie wollte die erste Frau an Österreichs Staatsspitze werden. Doch es sollte nicht sein. Barbara Prammer (60) musste sich einer bösartigen Krankheit geschlagen geben.
Die erste Frau an Österreichs Spitze der Republik – dieses Ziel verfolgte Prammer nicht aus persönlicher Eitelkeit, sondern weil es ein Triumph gewesen wäre. Ein Triumph für die heimische Frauenbewegung und ein symbolhafter Sieg für die Gleichstellung von Frauen.
Die letzten zehn Jahre, die die gebürtige Oberösterreicherin zuerst als Zweite, dann als Erste Nationalratspräsidentin tätig war, verstellen nämlich den Blick auf ihre politischen Wurzeln und ihr ursprüngliches Betätigungsfeld: Prammer war eine „Tochter“ Johanna Dohnals, der Ikone der österreichischen Frauenbewegung.
Die eingefleischte Sozialdemokratin war ungern nach Wien gegangen. In der Partei hieß es, eigentlich hätte sie SPÖ-Chefin von Oberösterreich werden und um den Posten der Landeshauptfrau kämpfen wollen.
1991 war Prammer in die Landespolitik eingestiegen. Zunächst war sie Landtagsabgeordnete und Zweite Landtagspräsidentin, vier Jahre später wurde sie Landesrätin für Wohnbau und Naturschutz – und damit das erste weibliche Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung.
1997 ließ sie sich breit schlagen und wechselte in die Bundesregierung.
Doch bald sollte das Leben wieder Unerwartetes für die Vollblutpolitikerin bereithalten. In Heinz Fischer, der 2004 von der Position des Zweiten Nationalratspräsidenten aus das Rennen um die Hofburg gewonnen hatte, fand sie einen neuen Förderer. Die zierliche Powerfrau wurde Fischers Nachfolgerin im Präsidium des Parlaments – und stieg mit dem Sieg der SPÖ bei der Wahl 2006 vom Silber- auf das Gold-Podest auf. Seither bekleidete sie die protokollarisch zweithöchste Position im Staat: Prammer war die erste Frau in der Funktion als Erste Nationalratspräsidentin. Insofern hat sie doch eine symbolhafte Markierung für die Frauen gesetzt.
Für den nächsten Karriere-Schritt blieb ihre keine Zeit mehr – trotz ihres offensiven Kampfes gegen den Krebs. Ihre Polit-Funktion aufzugeben kam nicht infrage. In einem KURIER-Interview im Jänner 2014 sagte Prammer: „Nur zu Hause zu sein, zu grübeln, plötzlich keine Aufgabe zu haben, wäre nichts für mich. Ich will aber niemandem Druck machen.“ Nicht alle Krebspatienten könnten arbeiten.
Zuletzt musste sie ihre Agenden aber doch an den Zweiten Präsidenten, Karlheinz Kopf, abgeben – man dachte freilich nur vorübergehend. Doch es kam anders.
Jungen Frauen gab die Vorkämpferin für Gleichberechtigung in einem KURIER-Gespräch im November des Vorjahres mit auf den Weg: „Traut Euch! Sagt nicht Nein, wenn ihre eine Chance bekommt. Scheitern kann man immer. Wissen tue ich es erst, wenn ich es probiert habe.“ Ihr Nachsatz: „Jeder und jede muss seinen beziehungsweise ihren Weg finden. In diesem Sinne Vorbild sein – das wäre ich gerne.“ Das war und ist Barbara Prammer für viele gewiss.
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