Aufregung um "Ratten-Gedicht": "Kann FPÖ nicht mehr egal sein"
„Ich freue mich, dass so ein großes Interesse an unserer EU-Kampagne gegeben ist“, sagt Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache staubtrocken in die Runde von Journalisten – und an seiner Seite muss Harald Vilimsky schmunzeln.
An den EU-Spitzenkandidaten sollte später nur eine einzige Frage gerichtet werden, die beiden Plakatsujets interessieren nur am Rande. „FPÖ voten gegen EU-Asylchaoten“, steht da. Die Freiheitlichen reimen wieder. Aber das ist heute Nebensache.
Am Dienstag interessiert ein anderer Reim: Das „Ratten-Gedicht“ des Braunauer Vizebürgermeisters Christian Schilcher (siehe rechts), das inzwischen ein weltweites Medienecho gefunden hat – von Guardian und BBC („deeply racist poem“) bis zu CNN, Washington Post oder der israelischen Haaretz.
Schilcher habe „in den politischen Müll gegriffen“, sagt Strache. Er sei von seinem Amt zurück- und aus der FPÖ ausgetreten, „um der Partei nicht zu schaden“.
Ausgerechnet Braunau
Das Gedicht, abgedruckt in der Parteizeitung der Stadt-FPÖ, landete am Osterwochenende in den Postkästen aller Einwohner der Innviertler Stadtgemeinde.
Der Grüne Bundesrat David Stögmüller, selbst aus Braunau, machte in sozialen Netzwerken darauf aufmerksam und schickte eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft. Die prüft jetzt, ob die Zeilen unter den strafrechtlichen Tatbestand der Verhetzung fallen: „So, wie wir hier unten leben, müssen and're Ratten eben, die als Gäst' oder Migranten, auch die, die wir noch gar nicht kannten, die Art zu leben mit uns teilen! Oder rasch von dannen eilen!“
Der Innsbrucker Politologe Reinhold Gärtner hält fest: „Die Botschaft an die eigene Klientel ist angekommen. Und der Kern der Botschaft bleibt: dass es schlecht ist, Kulturen zu vermischen. Und dass unsere Kultur höherwertig wäre, die anderen minderwertig.“ Der Uni-Professor gibt zu bedenken, dass das Bild der volkszerstörenden Ratten aus der nationalsozialistischen Propaganda stamme. „Schon allein deshalb braucht es da viel mehr Sensibilität.“
„Der Rücktritt des FPÖ-Funktionärs war die einzig denkbare Maßnahme in dieser Situation“, sagt Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer. Seit dem Start von Türkis-Blau würden ständig solche „Blasen aus dem Sumpf hochblubbern“, und nach dem stets gleichen Muster müsse die Parteispitze „wie die Feuerwehr“ ausrücken, um sich zu distanzieren.“
„Als Problem sehe ich einerseits die Permanenz solcher Äußerungen, die eine weit verbreitete Geisteshaltung in der FPÖ beweist. Doch eine anhaltende Distanzierung der Parteispitze von der Parteibasis kann keiner Partei guttun“, sagt Bachmayer. „Schon mit der Distanzierung Straches von den Identitären waren ja viele Funktionäre an der Basis nicht einverstanden.“
Belastung für ÖVP - FPÖ
Andererseits steige auch der Druck auf Kanzler Sebastian Kurz, der im In- und Ausland zunehmend gefragt werde, was da los sei. Kurz selbst stellte unmissverständlich klar: „Die getätigte Wortwahl ist abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch und hat in Oberösterreich und im ganzen Land nichts verloren.“ Für Bachmayer „stellt sich schon die Frage, wenn das anhält, ob das nicht das Verhältnis zwischen den Parteien belastet.“
Für Politikberater Thomas Hofer hat die Affäre um das „Ratten-Gedicht“ negative Auswirkungen auf die FPÖ – und zwar bei den gemäßigteren Zielgruppen sowie bei den Fans eines rechtsextremen Kurses. „In Niederösterreich hatte die FPÖ ja Plakate mit dem ’Moslem-Mama Mikl’-Sujets gepostet. Das war für die große Gruppe der gemäßigten Wähler zu radikal und hat eher geschadet. Das könnte jetzt wieder der Fall sein“, glaubt Hofer. „Die vielen Einzelfälle zuletzt, von der Identitären-Causa zu Straches-Postings, kumulieren sich.“ Für eine breite Mobilisierung sei das jedenfalls nicht förderlich und habe längst eine Wendung genommen, die der FPÖ nicht mehr egal sein könne.
Ein Problem sieht Hofer aber auch bei den FPÖ-„Hardcore“-Fans: „Da werden sich jetzt viele fragen, warum sich Strache etwa von den Identitären, die er früher immer als positive Strömung lobte, jetzt distanziert.“
Unterdessen poppte ein neuer Aufreger in den sozialen Medien auf: Ein vom steirischen „Ring Freiheitliche Jugend“ gestalteter Sticker vom Juni 2018 („Tradition schlägt Migration“) mit klar antisemitischer Anspielung.