Arbeitslose sollen vom Osten zu Jobs in den Westen
Von Daniela Kittner
Der Bundeskanzler leitete die Passage seiner Rede am Samstag mit einer Erzählung von einer Bergwanderung ein. Ein Hüttenwirt habe ihn, damals noch Außenminister, um Visa für acht Nepalesen gebeten, weil er in Österreich keine Arbeitskräfte für seine Berghütten finde.
Der politische Schluss, den Kurz in seiner Rede zum Jahrestag des türkisen Wahlsiegs zog: „Wir können nicht zuschauen, dass es im Westen offene Stellen gibt, und im Osten die Arbeitslosigkeit steigt.“ Besonders von jungen, ungebundenen Menschen und anerkannten Flüchtlingen forderte Kurz „mehr Mobilität“ und kündigte eine Reform der Arbeitsvermittlung durch das Arbeitsmarktservice an. Kurz: „Wir werden das ändern, das AMS reformieren und sicherstellen, dass die Vermittlung in Österreich wieder besser wird.“
Frage des „Mindset“
Wie kann das gehen? Wie bringt man Arbeitslose aus dem Osten zu den offenen Stellen im Westen, wie es der Kanzler will?
Der KURIER fragte den Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal, ein oft von der ÖVP konsultierter Experte, der auch am Regierungsprogramm mitgearbeitet hat. „Zumutbarkeitsbestimmungen noch weiter zu verschärfen, ist meines Erachtens nicht möglich. Wir haben jetzt schon für die Fahrt zur Arbeit und nach Hause drei Stunden Wegzeit, das kann man nicht noch verlängern. Man kann von Ostösterreich ins Bergland nicht einfach tagespendeln“, sagt der Professor.
Im Gegensatz zu anderen Staaten ist es in Österreich unüblich, der Arbeit hinterherzuziehen. „Das ist eine Frage des Mindsets (der Einstellung) und ein Wohlstandsindikator“, sagt Mazal. „Es wäre zweifellos ungerecht zu sagen, dass das alle faule Kerle sind, gewiss nicht. Vielmehr ist es eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung: Unsere Gesellschaft hat ein hohes Niveau an Stabilitätsbedürfnis entwickelt, was ja auch Vorteile – etwa für das Familienleben – hat.“
„Es wäre zweifellos ungerecht zu sagen, dass das alle faule Kerle sind.
Gewiss nicht.“
Mobilität erhöhen
In anderen Ländern würden Menschen hingegen sehr wohl der Arbeit nachziehen. Dies könne man nur über ökonomische Anreize erreichen. Eine international erprobte Möglichkeit sei ein zunächst hohes und dann stark sinkendes Arbeitslosengeld, ausgehend von 80 Prozent des Letztgehalts. Je länger arbeitslos, umso stärker soll das Arbeitslosengeld sinken. Auf Arbeitslose mit Sorgepflichten – z. B. Kinder in der Schule – müsste man dabei aber Rücksicht nehmen. Auch der Kanzler sprach von „ungebundenen Personen“.
Mit einer Kombination von Arbeitslosengeld neu und Mindestsicherung neu sei auch in Österreich ein anderes Mindset erreichbar. Vorreiter bei dieser Entwicklung waren Dänemark und Holland.
Auch Inländer betroffen
Eines ist klar: Für welche Maßnahmen sich die Regierung im Detail entscheidet, sie wird zwischen Ausländern und Inländern, EU-Bürgern und Österreichern keinen Unterschied machen können. Das gebietet das EU-Recht. Es werden also auch Inländer von Kürzungen und dem sanften Zwang, auch anderswo Arbeit anzunehmen, betroffen sein.
Höhere Löhne, glaubt Mazal, sind im Tourismus nur bedingt ein Ausweg aus dem Dilemma. „Man braucht sich nur die mangelnde Eigenkapitalausstattung der Hotel- und Gastwirtschaft in Österreich ansehen.“
Almwirtschafts-Lehre
Das AMS entgegnet der Kritik des Kanzlers, dass fast 70 Prozent der gemeldeten freien Stellen innerhalb eines Monats durch die Vermittlungstätigkeit des AMS nachbesetzt würden.
Darüber hinaus tauge die Nepalesen-Schnurre des Kanzlers nicht zur Illustration des Problems, denn es handle sich um Scherpas, die im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojekts auf österreichischen Berghütten eine Ausbildung in Alpinwirtschaft erhalten. Sie bekämen eine Arbeitsbewilligung für eine Saison. Betreiber des Projekts sei Extrembergsteiger Wolfgang Nairz.