Politik/Inland

Andreas Schieder, das rote "Mädchen für alles"

Auf der Ziehharmonika spielt jemand "Que Sera, Sera", einige schunkeln mit, andere sind in den Verzehr ihrer Topfenschnitte vertieft. Mittendrin: Andreas Schieder.

Der Gast im Seniorentreff in Bischofshofen hat Wein mitgebracht, "weil der ein bissl lustig macht", aber bei allem Schmähführen ist sein Anliegen ernst. "Gehen Sie zur Wahl, schützen Sie mit uns das Friedensprojekt Europa", appelliert der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die EU-Wahl an die Senioren.

Sie kennen Schieder aus dem Parlament, von flammenden Reden mit ernster bis zorniger Miene. Hier trägt der frühere SPÖ-Klubchef Karohemd, die Ärmel sind hochgekrempelt. Der Tag ist schon lang.

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2019 tourte Schieder durch Österreich und wollte wissen, was die Leute von ihm wollen, wenn er im EU-Parlament sitzt. Das schrieben sie auf Postkarten, die in einen alten Wanderrucksack kommen – quasi ein "Rucksack voller Wünsche“. Da steht etwa: "Stark gegen rechts auftreten“, oder: "Passen Sie auf unser Wasser auf."

Parkplatz bis Weltfrieden

In der Bundespolitik, weiß Schieder nach mehr als einem Jahrzehnt, "vertrauen einem die Menschen vom Parkplatzproblem bis zum Weltfrieden alles an“. Und der SPÖ-Mann scheint sich tatsächlich für vieles zuständig zu fühlen. Da sucht etwa eine ältere Dame nach "dem Mädchen, das die Postkarten einsammelt." Er nimmt sie ihr aus der Hand, sagt grinsend: "Dieses Mädchen bin ich", und steckt die Karte ein.

Andreas Schieder, Mädchen für alles?

Mit der Partei groß geworden – sein Vater war u.a. SPÖ-Zentralsekretär in Wien – war der 49-Jährige schon Gemeinderat, Nationalratsabgeordneter, Staatssekretär, Klubchef, und jetzt ist er Spitzenkandidat zur EU-Wahl.

Vorher wollte er Wiener Bürgermeister werden; aber das ist eine Geschichte, auf die er gar nicht gerne angesprochen wird. Es sei ja nichts dabei, für eine Position zu kandidieren, meint er, die Arme vor dem Karohemd verschränkt. Dass die Genossen befunden haben, dass sich Michael Ludwig dafür besser eignet, akzeptiert er. "Ich bin in der Politik, weil ich gestalten will. Wo man das tut, ist eigentlich sekundär.“

Folgenschwere U4-Nacht

Und Europa habe ihn ja schon immer fasziniert, schwenkt er auf seine aktuelle Bewerbung um. 1997 wurde er Präsident der Europäischen Jungsozialisten. "Da habe ich schon gemerkt, dass dieses Europa immer wichtiger wird. Es war für mich immer ein Ort, wo die Antworten auf die wirklich großen, brennenden Probleme gefunden werden."

Ein Zufall hat ihn auf diesen Karrierepfad geführt, erzählt er dem KURIER während einer Autofahrt nach Salzburg. Es war in den späten 1980er-Jahren – Lockenkopf, Lederjacke, die Rolling Stones im Ohr – als er von der Diskothek U4 mit einer Schulkollegin nach Hause ging und ihm dort ein Heft der Sozialistischen Jugend ins Auge fiel.

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Bei Schieder, der damals gegen Kurt Waldheim engagiert war, fiel der Groschen: "Wenn ich mich über diese Verlogenheit so ärgere, kann ich das in einer größeren Gruppe viel besser artikulieren als alleine. Also bin ich der SJ beigetreten."

Kochen und Politik

Die Rockstar-Karriere blieb ein Traum, aber eine andere Leidenschaft bringt er in die Politik ein: das Kochen. "Im Essen steckt viel drinnen: Klimaschutz, Gesundheit, die soziale Frage. Und der Mensch ist im Mittelpunkt.“

Seine Social-Media-Serie "Andi kocht" hat wohl mehr Resonanz als seine Parlamentsreden; und wenn jene, die zuletzt auf Instagram abgestimmt haben, ob in einen Apfelstrudel Rosinen gehören oder nicht, auch zur EU-Wahl gehen, darf Schieder zuversichtlich sein. Laut Umfragen hat die SPÖ übrigens gute Chancen, ihre fünf Mandate im EU-Parlament zu halten. Bei der Wahl 2014 erreichte sie 24 Prozent.

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Kochen verbindet – und auf Verbindungen legt der SPÖ-Mann großen Wert, will im EU-Parlament noch viel aktiver auf Social Media sein. Der persönliche Kontakt zum österreichischen Wähler werde freilich weniger werden. Bisher kam Schieder als Chef der Naturfreunde beim Wandern und Radeln viel unter die Leute, andere kennen ihn als (durchaus emotionalen) Fan im Rapid-Stadion.

"Weniger weh" tue ihm der Abschied aus der österreichischen Innenpolitik, sagt er in Hinblick auf die "negativen Entwicklungen unter Türkis-Blau“. Ob das seine Partei, die immer wieder mit internen Streitigkeiten auffällt, einschließt? "Wir machen uns da alle zu sehr ins Hemd. Ich halte so etwas aus“, sagt Schieder da entspannt. "Und ich merke mit zunehmendem Alter: Man ist nicht für alles zuständig. Da gibt es andere in der SPÖ.“

Der KURIER bringt in unregelmäßiger Abfolge Porträts der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl.