"Als Bodensediment wird uns Antisemitismus noch lange Zeit begleiten"
Von Johanna Hager
KURIER: Mit wie vielen Einreichungen rechnen Sie beim Simon Wiesenthal-Preis?
Wolfgang Sobotka: Nachdem das der erste Preis ist, den wir in der Form ausloben und es keine vergleichbare Auszeichnung in Europa gibt, kann ich Ihnen keine Zahlen nennen. Was mich hoffnungsvoll stimmt ist, dass wir bereits vor Beginn der Einreichfrist eine Vielzahl von Interessenten hatten. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch viele internationale Projekte eingereicht werden.
Welche Länder kommen infrage?
Die Projekte werden erwartungsgemäß aus dem deutschsprachigen Raum kommen, vielleicht auch aus Holland oder Frankreich. Ich möchte aber nochmals betonen, dass es hier keine Grenzen gibt.
"Erst, wenn jeder bereit ist, gegen Antisemitismus aufzustehen, dann wird es besser werden“, sagten Sie anlässlich der Präsentation des Preises. An wen denken Sie dabei im Speziellen?
Es geht in erster Linie um die Sensibilisierung der Jugendlichen. Wir wissen aus Studien, dass je gebildeter die Jugend ist, sie desto weniger antisemitisch ist. Es geht dabei auch um die Integration der Jugendlichen, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus zur Staatsdoktrin gehört. Diesen Jugendlichen müssen wir klarmachen, dass es - wie bei der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau - in Österreich ein klares Bekenntnis gegen jede Form des Antisemitismus gibt. Weil Österreich eine ganz spezielle Verantwortung und Konnektivität hat.
Die Bundesregierung hat eine Antisemitismus-Strategie…
… mit über 30 Maßnahmen ins Leben gerufen. Eine davon ist die Einrichtung der Demokratiewerkstatt. Im Zuge dessen haben wir ein Kompendium herausgegeben, in dem jeder nachlesen kann, welche Worte und Ausdrücke antisemitisch sind, was sie bedeuten und warum sie nicht mehr zu verwenden sind. Ein ganz wesentliches Engagement gegen Antisemitismus ist die KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Der Besuch von jungen Menschen dort hat eine ungeheure Wirksamkeit, weil der Ort die Gräuel des Holocaust unmittelbar macht. Junge, integrierte Migranten müssten in der KZ-Gedenktstätte Mauthausen aufgrund der eigenen Leidensfähigkeit und ihrer Flucht erkennen, dass Antisemitismus keinen Platz haben kann in ihrem Leben.
Wann werden wir diesen Preis in Österreich vielleicht einmal nicht mehr brauchen, weil der Antisemitismus im Sinken und nicht im Steigen begriffen ist?
Numerisch gesehen ist der Antisemitismus nicht mehr geworden, er wird nur schärfer artikuliert. Als Bodensediment, befürchte ich, wird uns der Antisemitismus noch lange Zeit begleiten – entschlossen dagegen aufzutreten, das wird die Aufgabe dieser und der folgenden Generationen sein.