AK-Präsidentin plädiert für Familien-Arbeitszeitmodell
Von Johanna Hager
KURIER: Arbeitsmarktdaten wie auch eine Studie der Uni Wien im Auftrag der AK-Wien zeigen, dass Frauen wirtschaftlich und sozial schwerer und länger von der Corona-Krise betroffen sind als Männer. Was ist Ihres Erachtens nach der entscheidende Grund?
Renate Anderl: Die Kinderbetreuung, beginnend beim Kindergarten, muss ausgebaut werden. Die erste Bildungseinrichtung ist wesentlich für Eltern, insbesondere für Frauen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, einer Beschäftigung nachzugehen. Gleichzeitig muss es möglich sein, die Kinderbetreuung partnerschaftlich aufzuteilen.
Mehr oder verpflichtende Väter-Karenz?
Von Verpflichtungen halte ich wenig. Was uns gemeinsam mit den ÖGB-Frauen vorschwebt ist ein Familien-Arbeitszeitmodell. Ein Modell, das beiden Elternteilen ermöglicht, die Arbeitszeit beispielsweise auf 30 Wochenstunden reduzieren, um sich die Kinderbetreuung zu teilen. Damit Vater und Mutter sich dafür entscheiden, wollen wir zusätzliche Anreize schaffen.
Welche Anreize könnten das sein?
Das arbeiten wir gerade aus. In Island gibt es ein ähnliches Modell, das drei Monate für die Mutter, drei für den Vater und drei weitere Monate vorsieht. Durch das Modell ist der Anteil der Väter-Karenzen von 30 auf 90 Prozent gestiegen. Männer wollen - im Gegensatz von vor 30, 40 Jahren - ihre Vater-Rolle aktiv übernehmen. Was immer vergessen wird und wir aus Studien wissen: Frauen wollen mehr arbeiten, Männer wollen weniger arbeiten. Dem sollten wir Rechnung tragen.
Warum gehen in Relation immer noch so wenige Väter in Karenz?
Weil viele Betriebe erst umdenken müssen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen in die Pflicht genommen werden, die Väterbeteiligung an der Kinderbetreuung zu fördern. Davon sind wir derzeit noch weit entfernt. Es muss für Unternehmen klar sein, dass egal, ob sie ein junges Mädchen oder einen jungen Burschen aufnehmen: Jeder von den beiden wird sich wahrscheinlich Karenz-Zeit nehmen. Männern wird es oft schwergemacht, überhaupt in Karenz zu gehen, aus Angst vor Kündigung gehen sie dann oft nicht.
Es rechtlich möglich zu machen ist das Eine - die gesellschaftliche Einstellung das Andere.
Das Um und Auf ist – und das weiß ich aus meiner früheren Tätigkeit als ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende – dass jedes Kind ab dem 1. Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben muss. Es geht um das Recht, nicht um die Verpflichtung. Und es geht darum, dass Eltern, egal ob Mutter oder Vater, nicht schief angeschaut werden, wenn sie ihre Kinder ab dem ersten Lebensjahr in die Obhut einer Bildungseinrichtung geben und nach 14 Uhr abholen.
Wie wollen Sie diesem Zustand beikommen?
Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, dass sich Mütter insbesondere am Land oft rechtfertigen müssen, warum sie ihr Kind schon so früh und so lange in Betreuung geben und, dass es im Gegensatz zu Wien oder anderen großen Städten gar nicht genug Betreuungsplätze gibt. Dafür gibt es zig Ausreden wie „Wir haben zu wenig Kinder“ oder „Die Eltern wollen das gar nicht“. Wenn ich keine Plätze anbiete, dann darf ich mich nicht wundern. In Österreich geben wir aktuell 0,67 Prozent des BIP für diesen Bereich ausgeben. Der EU-Schnitt liegt bei einem Prozent.
Welches Ziel schwebt Ihnen vor?
Es ist die Verantwortung der Politik, in diesen Bereich zu investieren. Wir wissen, dass 70 Prozent dessen, was wir investieren, wieder zurückkommt und wir damit Beschäftigung schaffen. Von Bau der Bildungseinrichtung über die Pädagogen bis hin zu den Eltern, die wieder einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können.
Zwei Fragen zum Schluss: Wird es Beschäftigungsbereiche geben, in denen die Corona-Impfung ein Einstellungskriterium werden wird?
Die Glaskugel steht nicht auf meinem Tisch. Ich hoffe sehr, dass wir möglichst viele Menschen davon überzeugen, sich impfen zu lassen. Klar ist, dass es derzeit keine Impflicht in Österreich - bis auf das Gesundheitswesen gibt. Ob ein Bereich dazu kommen wird, weil Abstandhalten, FFP2-Masken und Testen für die Tätigkeit nicht ausreichen, das kann ich nicht sagen.
Die AK befürchtet wegen des Klimagesetzes, dass Wenigverdiener mehr zahlen müssen. Vizekanzler Kogler sagt im KURIER-Interview, dass das ohnehin nicht passieren wird.
Die Umsetzung des Klimagesetzes und die ökosoziale Steuerreform müssen sozial ausgewogen und verträglich sein. Es gibt Regionen, in denen ich einen PKW brauche, um zur nächsten Busstation zu gelangen. Hier von E-Autos oder vom Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu sprechen, das ist fern der Realität. Wir können erst dann von E-Autos oder der Erhöhung der Mineralölsteuer sprechen, wenn es Übergangslösungen und Alternativen gibt, die sich nicht nur Menschen mit tollem Einkommen, sondern alle leisten können.
Was ist ein tolles Einkommen?
Mit einem tollen Einkommen kann ich mir mein Leben finanzieren. Derzeit müssen viele aufgrund von Arbeitslosigkeit mit der Hälfte ihres Einkommens ihre Zahlungen wie Strom, Wasser, Gas zahlen. Wenn ich daran denke und an die steigenden Mieten, dann ist der Bruttomindestlohn von 1.700 Euro, der gefordert wird, ohnehin schon zu gering.
Wie hoch sollte der Mindestlohn sein?
Das zu beziffern und auszuverhandeln obliegt den Gewerkschaften. Wenn ich etwas anheben dürfte und könnte, dann wäre es das Arbeitslosengeld, also die Nettoersatzrate von 55 auf 70 Prozent anzuheben.