Zehn Jahre Arabellion: War alles umsonst?
Tahrir Platz, Hosni Mubarak und seine Frau Suzanne auf der Flucht, der tunesische Gemüseverkäufer Mohamed Bouazizi, die Umstürze, dann Wahlen – Jubel.
Dann Libyen, Syrien, Jemen. Blutvergießen, Leid, Hunger.
Und in Ägypten das Militär zurück an den Schalthebeln und ein Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der nach Belieben die Meinungsfreiheit einschränkt und Oppositionelle in Gefängnissen verzweifeln lässt.
Ist der Arabische Frühling zum Winter geworden? Nein, glaubt Karim El-Gawhary – jener Korrespondent, der in Österreich im Jahr 2011 mit seinen ORF-Live-Schaltungen nach Kairo einst die Herzen der Zuseher eroberte, indem er die Situation in einer medial oft gering beleuchteten Region verständlich erklärte.
Alles umsonst?
Weil viele der Staaten der „Arabellion“ nach den Protesten und Umstürzen im Chaos oder gar im Krieg versunken sind, liegt die Behauptung nahe, die jungen Araber hätten die Revolution erst gar nicht anzetteln dürfen.
„Kann man politische Prozesse tatsächlich als Jahreszeiten erklären?“, fragt Gawhary in seinem neuen Buch „Repression und Rebellion“ – und suggeriert „nein, kann man nicht“.
Für den Journalisten und Autor, der selbst viele Entwicklungen seit 2011 hautnah miterlebt hat, ist das viel zu kurz gegriffen. Vielmehr fragt er in seiner Analyse der Ereignisse nach 2010 nach dem Warum: Warum konnte sich in Ägypten wieder die autoritäre Schiene durchsetzen? Warum ist Libyen zerfallen? Warum ist Syrien zunächst den Islamisten und dann dem immer härter auftretenden Präsidenten zum Opfer gefallen? Und warum konnte es nur Tunesien – ansatzweise – zur Demokratie schaffen?
Auf gewohnt leicht verständliche und sehr persönliche Weise geht der Journalist mit ägyptischen und deutschen Wurzeln in seinem Buch auf diese Fragen ein.
Pflicht Europas
El-Gawhary nimmt bei seiner Analyse des als „Arabischer Frühling“ bekannten Phänomens – das er viel lieber als „Arabellion“ bezeichnet – aber auch Europa in die Pflicht. Die europäische Politik habe versagt: „Die Lektion, dass arabische Autokraten keine Stabilität bringen und nicht die Lösung, sondern ein großer Teil des Problems sind, wurde in Europa immer noch nicht gelernt.“ Fälschlich identifiziere die europäische Politik jene Autokraten als „Antiterrorkämpfer“ und als Antwort gegen Flüchtlingsströme, so El-Gawhary. Dabei seien „sie es, die Terror und Flüchtlinge produzieren“.
Nicht zu kurz kommt in dem Buch auch der neue Widerstand in Algerien, im Sudan, im Libanon und im Irak, der die Art des Regierens, die Misswirtschaft und die Korruption ihrer Regime infrage stellt, doch in den westlichen Medien noch weitgehend untergeht. KKS