Was bisher über die Gräueltaten von Butscha bekannt ist
Die Regierung in Kiew und westliche Länder beschuldigen Russland, Kriegsverbrechen in der Ukraine zu begehen. Vor allem die Bilder aus der verwüsteten Stadt Butscha schockierten die Weltöffentlichkeit. Die Nachrichtenagentur AFP dokumentiert, was bisher über die mutmaßlichen Taten der russischen Armee dort bekannt ist.
Vier Wochen unter Besatzung
Vor dem Krieg war Butscha ein familienfreundlicher Vorort von Kiew mit rund 37.000 Einwohnern. Die ersten russischen Soldaten erreichten die Stadt am 27. Februar, am 5. März brachten sie den Ort unter ihre Kontrolle, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich schätzungsweise noch 4.000 Einwohner dort auf. Am 31. März zog die russische Armee aus Butscha ab.
Erste Hinweise auf Gräueltaten
AFP-Journalisten entdeckten am 2. April in der Jablunska-Straße über mehrere hundert Meter verstreut 20 Leichen in Zivilkleidung. Sie sahen aus, als hätten sie bereits mindestens seit mehreren Tagen dort gelegen. Ein Mann war mit seinem Fahrrad gestürzt, anderen waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Mindestens zwei schienen Kopfwunden aufzuweisen.
Etwa 400 Tote
Laut dem Polizeichef von Butscha, Witaly Lobass, wurden nach dem Truppenabzug etwa 400 Leichen entdeckt, unter anderem in zwei Massengräbern. Die meisten seien erschossen worden, etwa ein Viertel habe nicht identifiziert werden können. In der gesamten Region wurden nach Angaben der stellvertretenden ukrainischen Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna mehr als 1.000 tote Zivilisten gefunden.
Ermittlungen zu Kriegsverbrechen
"Dies sind Kriegsverbrechen, und sie werden von der Welt als Völkermord anerkannt werden", sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij bei seinem Besuch in Butscha am 4. April. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, reiste am 13. April dorthin und nannte die gesamte Ukraine einen "Tatort". Ein Team von Ermittlern aus Litauen, Polen und der Ukraine solle vor Ort Beweise sammeln und werde dabei von der EU-Justizbehörde Eurojust unterstützt, kündigte Khan an.
Human Rights Watch nahm eigene Untersuchungen vor und fand nach eigenen Angaben Beweise für Kriegsverbrechen wie Folter, Hinrichtungen im Schnellverfahren sowie das Verschwindenlassen von Menschen. Ermittler des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte dokumentierten am 9. April den Tod von 50 Zivilisten in Butscha, darunter Hinrichtungen im Schnellverfahren.
Moskau leugnet es
Wenige Stunden nach Veröffentlichung der ersten Bilder von Leichen in der Jablunska-Straße behauptete die russische Armee, die Szene sei inszeniert, da sich auf einem Video zwei der Toten bewegten. Eine Analyse des Videos durch AFP und eigene Filmaufnahmen der Agentur widerlegten dies.
Russlands Präsident Wladimir Putin warf Kiew "plumpe und zynische Provokationen" vor, das Außenministerium beschuldigte die Ukraine, die Zivilisten selbst getötet oder die Leichen dorthin gelegt zu haben.
Satellitenbilder der US-Firma Maxar Technologies im Abgleich mit AFP-Aufnahmen zeigen, dass mehrere der Leichen jedoch mindestens drei Wochen lang unter freiem Himmel lagen. Das Magazin "Der Spiegel" zitierte aus vom Bundesnachrichtendienst (BND) abgehörten Funksprüchen zwischen russischen Soldaten, in denen diese sich über die Gräueltaten unterhielten. In einem Gespräch erzählte demnach ein Soldat einem anderen, dass er und seine Kollegen einen Mann auf einem Fahrrad getötet hätten.
Strafverfolgung der mutmaßlichen Täter
Kiew macht die 64. motorisierte Infanteriebrigade Russlands für die Taten verantwortlich. Die Truppe war in Butscha stationiert. Die ukrainische Staatsanwaltschaft erklärte am Donnerstag, sie ermittle gegen zehn Brigademitglieder wegen Kriegsverbrechen. Putin unterzeichnete am 18. April ein Dekret, in dem er die Brigade für ihren "Heldenmut und ihre Tapferkeit" lobte.
Zu Beginn der Besatzung seien hauptsächlich junge russische Soldaten in der Stadt gewesen, berichtete eine Zeugin AFP. Später seien dann "brutale" ältere nachgerückt. "In dieser Zeit begannen die Massaker", sagte die Frau.
Den vom BND abgefangenen Nachrichten zufolge könnten auch russische Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe beteiligt gewesen sein.