Politik/Ausland

Warum sich Erdogan erneut mit dem Westen anlegt

Die Beziehungen zwischen dem Westen und der Türkei stehen vor einer erneuten Belastungsprobe. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete am Wochenende, die Botschafter Deutschlands, der USA und acht anderer Staaten zu unerwünschten Personen  zu erklären. Er habe das Außenministerium dazu angewiesen, sagte der türkische Präsident bei einem Besuch in Eskisehir. „Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zur ,persona non grata' zu erklären.“ Ein solcher Schritt führt in der Regel zur Ausweisung der Diplomaten. Eine Frist nannte Erdogan nicht.

Aus Kreisen des Auswärtigen Amts in Berlin hieß es dazu: „Wir haben die Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan sowie die Berichterstattung hierüber zur Kenntnis genommen und beraten uns derzeit intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern.“ Betroffen sind neben Deutschland und den USA auch Frankreich, Kanada, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen und Schweden.

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Hintergrund der Äußerungen Erdogans ist eine Erklärung der Botschafter von Anfang der Woche, in der sie die Freilassung des türkischen Unternehmers und Kulturförderers Osman Kavala fordern. Der 64-Jährige sitzt seit 2017 in Istanbul in Untersuchungshaft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schon 2019 seine Freilassung angeordnet hatte. Die Türkei ignoriert das Urteil bisher.

Kavala wird ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 sowie „politische und militärischen Spionage“ im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Gegen ihn und mehr als 50 weitere Angeklagte läuft ein Verfahren in Istanbul, das Ende November fortgesetzt wird. Seine Unterstützer sehen die Vorwürfe als politisch motiviert. Kavala ist in der Türkei für seinen Einsatz für die Zivilgesellschaft bekannt, er fördert mit seiner Organisation Anadolu Kültür zahlreiche Projekte.

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Die Krise um Kavala dürfte die Beziehungen zwischen dem NATO-Partner Türkei und der EU sowie den USA stark belasten. Dabei haben sich gerade Deutschland und die Türkei eigentlich wieder angenähert, nachdem die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern 2017 zu einem tiefen Zerwürfnis in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Erst vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdogan die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen betont.

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Der wahre Grund des diplomatischen Poltern Erdogans dürfte in der türkischen Innenpolitik liegen. Der Präsident, der seit 20 Jahren der starke Mann am Bosporus ist, sieht im Moment alle Felle davonschwimmen: Die türkische Lira verliert immer weiter an Wert, seine konservativ-islamische Partei stürzt in den Umfragen ab, der 67-jährige Präsident selbst hat gesundheitliche Probleme. In solchen Situationen hat Erdogan immer wieder einzelne Staaten des Westens, bisweilen auch Österreich, oder die gesamte EU scharf angegriffen.

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