Venezuela im Chaos: "Kein Essen, kein Wasser, kein Leben"
Venezuela steht am Rande des politischen Kollaps. Seit vergangenem Donnerstag ist es auch ein Land, das infrastrukturell vor dem Abgrund steht. Stromausfälle lähmen das Land. Und bisher sind alle Versuche, die Versorgung wieder herzustellen, gescheitert. Seltsam sei es, so der Journalist Manuel Tovar gegenüber dem KURIER, „im 21. Jahrhundert, wie im 17. Jahrhundert zu leben“. Ohne Strom eben. Und diese Lage facht den erbitterten Machtkampf zwischen Opposition und Regierung noch zusätzlich an.
Der Blackout hat das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht: Spitäler arbeiten mit Notstromaggregaten, wobei aber der Treibstoff ausgeht, die Wasserversorgung ist zum Erliegen gekommen, Büros arbeiten nicht.
Nachdem die Regierung bereits den Montag zum arbeits- und unterrichtsfreien Tag erklärt hatte, wurde diese Maßnahme nun bis inklusive Mittwoch verlängert. Staatschef Nicolas Maduro spricht von einem „elektrischen Coup“. Die Stromausfälle seien auf einen Hackerangriff der USA zurückzuführen. Dabei scheint ein Waldbrand im Umland des riesigen Kraftwerks am Guri-Staudamm die Ursache zu sein. Leitungen seien dabei beschädigt worden, so Manuel Tovar.
Das von der Opposition dominierte, von Maduro aber entmachtete Parlament unter der Führung von Oppositionschef Juan Guaido rief den Notstand aus. Der selbsternannte Übergangspräsident Guaido macht Misswirtschaft, fehlende Wartung und Korruption für den Stromausfall verantwortlich.
In einer Resolution heißt es, die Streitkräfte sollten das Stromnetz beschützen und nicht gegen Proteste wegen des Blackouts vorgehen. Die Armee ist allerdings nach wie Maduro treu ergeben.
„Das Militär oder Paramilitärs kontrollieren die Straßen, manche fahren mit Motorrädern herum und schießen in die Luft, um Leute vor Übergriffen abzuhalten“, berichtet Manuel Tovar. Und die Bürger? „Die versuchen in der Dunkelheit möglichst wenig rauszugehen, aus Protest schlagen Leute mit Kochlöffeln gegen ihre Pfannen, aber sie blieben daheim.“
Tagsüber aber bilden sich lange Schlangen vor Tankstellen und Geschäften, schildert Manuel Tovar. „Weil wir die Kühlschränke ohne Strom nicht benutzen können, suchen alle Leute Dosen, alle Arten von Dosen, Sardinendosen, Thunfischdosen“, sagt Manuel Tovar. Öffentliche Verkehrsmittel würden aber praktisch keine mehr fahren weil das Benzin ausgehe. Das größte Problem aber ist das Wasser.
Die Hauptstadt Caracas (2 Millionen Einwohner) ist ohne Wasser. Weil es keinen Strom gibt, arbeiten die Pumpen nicht, über die die Wasserversorgung der auf 900 Höhenmetern gelegenen Stadt ausschließlich funktioniert. Und das bedeutet: Kein Trinkwasser, kein Wasser zum Waschen, kein Wasser für die Toilette. „Jeder sucht verzweifelt irgendeinen Weg, um an Wasser zu kommen“, sagt Manuel Tovar. Er sehe, wie Leute Wasser aus dem Fluss schöpften, extrem verschmutztes Wasser. Andere machten Geld mit der Not: „Sie bringen LKW mit Wassertanks und verlangen 100 Dollar für einen Kanister! Hundert Dollar! Der monatliche Mindestlohn bei uns beträgt sechs Dollar!“
Die Inflation sei wiederum so eine Sache für sich. Bisher hatten die Menschen mit Kreditkartenzahlung den Alltag bestritten. Mit dem Stromausfall ist aber auch diese Möglichkeit weggefallen. „Die Geschäfte verlaufen nur noch gegen Dollar. De facto haben wir jetzt also eine Dollarisierung im Land des Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, sagt Manuel Tovar.
Nur eine glückliche Fügung gebe es in Caracas: „Glücklicherweise ist es gerade nicht sehr warm, es hat so 25 bis 28 Grad.“ Im Süden des Landes aber sei es viel heißer. Daher auch der Waldbrand bei jenem Kraftwerk, das große Teile des Landes versorgt.
Neben dem Mangel an Wasser ist es die medizinische Versorgung, die mit dem Stromausfall und dem Treibstoffmangel zu einem echten Problem wird, berichtet Manuel Tovar. „Wir haben Chaos. In den Spitälern sind schon 24 Menschen gestorben, weil Operationen nicht beendet werden konnten, da die Notstromaggregate nicht funktioniert haben.“ Sieben Babys konnten in ihren Brutkästen nicht überleben. Auch 70 Dialyse-Patienten seien bereits gestorben.
Schien Maduro die politische Krise unter Umständen aussitzen zu können, so wird das Strom-Problem zu einem echten Risiko für den autoritär regierenden Staatschef. Denn dass die Stromversorgung nicht wieder hergestellt wurde, dafür würden die Leute der Regierung die Schuld geben. „Wir haben genug fähige Ingenieure, die das Wasserkraftwerk gut betreuen könnten. Und dass ein Feuer ausbricht oder ein Schaden passiert, dass kann geschehen. Aber die Regierung hat nicht für die gute Wartung der Anlage gesorgt, hat sie jahrelang vernachlässigt, und jetzt bekommen wir die Folgen dieser Inkompetenz zu spüren“, sagt Manuel Tovar.
Und er sagt: „Es gab schon Gewalt, Unruhen und Plünderungen, aber noch nicht so schlimm. Allerdings wird die Angst immer größer. Das ist eine sehr fatale Kombination: kein Essen, kein Wasser, kein Leben, das wird alles noch sehr schlimm werden.“