Venezuela: Abgewrackt, heruntergewirtschaftet
Von Tobias Käufer
Manchmal sind die Schlangen vor den Tankstellen vier, fünf Kilometer lang. Die schier unendliche Reihe von Autos windet sich dann durch die Straßen, biegt auch mal um die Ecke. Die Fahrer in den Autos warten auf das, was es im ölreichsten Land der Welt eigentlich im Überfluss geben müsste: Benzin.
Doch viele Tankstellen in San Cristobal im Westen Venezuelas sind verwaist. Gitter stehen vor den Zapfsäulen, hier gibt es gar nichts mehr. Das bedeutet für viele, im Auto zu übernachten, denn freiwillig gibt niemand seinen Platz in der Schlange auf. Venezuela steht wieder einmal am Abgrund.
Seit Präsident Nicolas Maduro an der Macht ist (2013), sank die Ölproduktion des Landes um 16 Prozent. Gemeinsam mit dem Preisverfall des einst weit über 100 US-Dollar für ein Barrel gehandelten Rohöls ist es auch die mangelnde Produktivität, die das Land in den Ruin treibt.
Maduro macht einen „Krieg der neoliberalen Kräfte“ gegen Venezuela für die Krise verantwortlich. Diese, so seine Argumentation, versuchen, das sozialistische Land zu destabilisieren. Ein Blick auf die Ursachen der Krise lässt aber einen anderen Schluss zu. Maduro und die regierenden Sozialisten haben das Land verfallen lassen, die Infrastruktur nicht nur in der Ölindustrie ist marode.
In San Cristobal führt das zu einem Comeback des Autostoppens. Hunderte Daumen recken sich an den Straßenrändern in die Höhe, weil viele keinen Sprit bekommen haben und weil der Nahverkehr zusammengebrochen ist. Abends ist es oft stockfinster. In den Straßen klaffen riesige Löcher.
San Cristobal ist eine Hochburg der Opposition, hier ist vieles anders als im Rest des Landes. Die Menschen mögen mehr Fußball als Baseball, hier wird mit kolumbianischen Pesos bezahlt, der längst die Ersatzwährung für den hyperinflationären Bolivar ist.
Diplomatie oder Blut
„Maduro hat das Land zugrunde gewirtschaftet“, sagt Walter Marquez, ein ehemaliger Botschafter unter dem 2013 verstorbenen Revolutionsführer Hugo Chavez und jetzt scharfer Kritiker von Maduro. „Jetzt steht er vor zwei Möglichkeiten. Entweder eine diplomatische oder eine blutige und er lässt den Aufstand niederschlagen.“
Am Sonntag wollen sie wieder auf die Straße gehen. Trotz dreier Toter in der vergangenen Woche, als sich Zehntausend hinter Interimspräsident Juan Guaido stellten. Auch der junge Student Luigi Herrera war dabei, es war seine erste Demo. Dann fielen Schüsse. Luigi wurde tödlich getroffen.
Seine Familie beschuldigt die paramilitärischen Schlägertrupps der Regierung, die gefürchteten Colectivos. Hunderte sind zur Beerdigung des Studenten in die Universität de los Andes gekommen. Sie wollen weiter für einen Regierungswechsel kämpfen. Für ein neues Venezuela und für Luigi, der dafür gestorben ist.
PDSV, das ist der Schmierstoff Venezuelas. Der Ölkonzern war bereits vor der „venezolanischen Revolution“ von Hugo Chávez verstaatlicht worden. Chávez aber hat den Zugriff der sozialistischen Partei auf den Ölgiganten perfektioniert. Erst tauschte er die Präsidenten des Unternehmens wie Unterhemden, dann kam der Kahlschlag: 18.000 Mitarbeiter wurden entlassen – darunter viele politisch unliebsame Fachkräfte.
Heftiges Nicken
Seitdem werden Vorstandssitzungen gerne im Fernsehen übertragen. Mitarbeiter und Vorstand tragen dann rote Hemden, es wird heftig genickt, wenn der Präsident die Marschroute für die Zukunft ausgibt, und sei sie noch so unrealistisch.
Bis heute aber müssen die Venezolaner für eine Tankfüllung nicht einmal einen US-Dollar zahlen – wenn es denn Sprit gibt. Denn die Raffinerien sind marode. Anderseits aber auch, weil Millionen Liter auf Schmuggelkanälen ins Ausland geschafft werden – wodurch dem Land gigantische Summen entgehen. Wo all die Milliarden sind, die Venezuela zu Zeiten des Ölpreishochs scheffelte, weiß niemand.
Dem Preisverfall sind die Venezolaner nun ohnmächtig ausgeliefert. Im weltweiten Ränkespiel zwischen den Öl-Imperien im Nahen Osten und den dank Fracking zur Öl-Supermacht aufgestiegenen USA wird Caracas zerrieben. Nun bezahlt das Land den Preis für politische Isolation – unter Chávez war das Land zumindest eine Regionalmacht.
Im Land ist zudem die Produktion zusammengebrochen, Land- und Privatwirtschaft haben sich aufgelöst. Das liegt vor allem an der hohen Inflation von bis 1000 Prozent und der unternehmensfeindlichen Haltung der Regierung. Jetzt geht nichts mehr. Venezuela ist am Boden und vielleicht bald auch Maduro.