Trotz Haftbefehls: Ungarn würde Putin nicht festnehmen
Ungarn will den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin einem führenden Regierungsvertreter zufolge ignorieren.
Putin würde nicht verhaftet, wenn er nach Ungarn käme, sagte der Stabschef und Regierungssprecher von Ministerpräsident Viktor Orbán, Gergely Gulyás, am Donnerstag. Es gäbe für eine Vollstreckung des Haftbefehls "keine rechtliche Grundlage" in Ungarn.
Ungarn hat zwar das Römische Statut als vertragliche Grundlage des Internationalen IStGH unterzeichnet und ratifiziert. Es sei aber nicht in das ungarische Rechtssystem integriert worden, argumentierte Gulyás bei einer Regierungspressekonferenz. Auf Basis des ungarischen Rechts könne Putin nicht verhaftet werden.
Auf Nachfrage sagte Gulyás, die Regierung in Budapest habe sich zu dem Haftbefehl gegen Putin keine Meinung gebildet. Seine persönliche Meinung sei aber, dass diese Entscheidungen nicht sehr glücklich seien, da sie die Dinge in Richtung einer weiteren "Eskalation" und nicht in Richtung Frieden führten.
Ungarn hatte das Römische Statut von 1998, auf dessen Grundlage der IStGH errichtet worden war, per Parlamentsbeschluss vom 6. November 2001 ratifiziert und dies am 30. November 2001 beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.
Die Ratifizierung geschah unter der ersten Regierung Orbán (1998-2002). Der Text des Römischen Statuts selbst sollte in Folge als Gesetz in Ungarn verlautbart werden, was jedoch nie geschah.
Kooperationspflicht
Der IStGH führt Ungarn aufgrund der Ratifizierung offiziell als Vertragsstaat. Das österreichische Außenministerium verwies am Donnerstag auf APA-Anfrage auf die Kooperationspflicht dieser Staaten: "Niemand steht über dem Recht. Alle Verbrechen müssen lückenlos aufgeklärt werden, es darf keine Straffreiheit geben.
Als Vertragspartei des Römer Statuts besteht für Österreich wie für alle anderen Vertragsparteien eine Kooperationsverpflichtung mit dem IStGH: Das heißt Haftbefehle des Gerichtshofs sind umzusetzen und von diesem Gesuchte festzunehmen. Der IStGH hat 2019 in einem Fall festgestellt, dass auch für Staatsoberhäupter keine Immunität vor dem Gerichtshof besteht", hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums.
Auch das Haager Gericht verwies am Donnerstag auf Anfrage der APA auf die Kooperationsverpflichtung im Statutstext, wo es heißt: "Die Vertragsstaaten arbeiten nach Maßgabe dieses Statuts bei den Ermittlungen in Bezug auf Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen, und bei deren strafrechtlicher Verfolgung uneingeschränkt mit dem Gerichtshof zusammen."
Sondertribunal
Aus Sicht der Ukraine sollte Russlands Präsident Putin und anderen führenden Vertretern des Landes wegen der Invasion vor einem Sondertribunal der Prozess gemacht werden. "Ich glaube, dass er in Abwesenheit (der Angeklagten) geführt werden könnte", sagte der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Andrij Kostin, am Donnerstag Reuters am Rande eines Besuchs des IStGH in Den Haag. Es sei wichtig, internationale Verbrechen zu ahnden, auch wenn die Täter nicht auf der Anklagebank säßen.
Internationale Gerichte haben aber bisher nur in äußert seltenen Fällen Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten geführt. Zudem müssen nach den Regeln des Strafgerichtshofs Angeklagte anwesend sein. International wächst jedoch die Unterstützung für ein Sondertribunal, vor dem sich die russische Führung wegen des Angriffskrieges verantworten müsste.
Dieser Vorwurf fällt nicht in die Zuständigkeit des IStGH, der Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord ahnden kann, nicht aber sogenannte Verbrechen der Aggression. Auch Österreich gehört einer Staatengruppe an, die die Errichtung eines entsprechenden Sondertribunals zum Ziel hat.
Der IStGH in Den Haag verfügt über keine eigenen Polizeikräfte und ist darauf angewiesen, dass seine Mitgliedsstaaten Verdächtige festnehmen und überstellen.
Er hatte am Freitag einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt und ihn beschuldigt, verantwortlich an der Deportation ukrainischer Kinder und der erzwungenen Überführung von Ukrainern in die russische Föderation zu sein.
Während die Ukraine den Haftbefehl begrüßte, wies Russland die Vorwürfe als ungeheuerlich zurück. Die Führung in Moskau erklärte, als humanitäre Schutzmaßnahme Tausende Kinder aus Konfliktgebieten nach Russland gebracht zu haben.
Putin ist nach Omar al-Bashir aus dem Sudan und Muammar al-Gaddafi aus Libyen der dritte Staatschef gegen den in seiner Amtszeit ein IStGH-Haftbefehl ausgestellt wurde. Der Strafgerichtshof wird von 123 Staaten getragen, Russland ist nicht darunter.