Politik/Ausland

Warum TikTok jetzt auch für die EU zum Schreckgespenst wird

Er verehrt Putin, verspottet die EU - und er hat quasi aus dem Stehgreif eine Wahl gewonnen. Der sensationelle erste Platz für den Nationalisten Calin Georgescu bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Rumänien schreckt Europa auf. Denn dieser Sieg eines bisher unbekannten Beamten ist vor allem durch den großflächigen Einsatz eines sozialen Mediums geglückt, das man bisher eher bei Unterhaltung für Teenager verortete als bei den Instrumenten politischer Propaganda.

Propaganda ganz geheim

Eigentlich hatte sich die EU im Vorjahr mit dem Digital Service Act, DSA, ein augenscheinlich wirksames Kontrollinstrument für soziale Netzwerke zugelegt. Hassreden und soziale Diskriminierung müssen von den Betreibern dieser Netzwerke erkannt und gelöscht, politische Propaganda deutlich gekennzeichnet werden.

Doch Georgescus Wahlkampagne unterlief diese Regeln. 150 Millionen mal wurden seine TikTok-Videos geklickt. Die bestanden meist aus heiteren Einlagen des Kandidaten, oder Scherzen, in denen die politische Propaganda versteckt mitgeliefert wurde. Und die lieferte zu einem Gutteil frei erfundene Botschaften, wie etwa, dass ukrainische Flüchtlingskinder in Rumänien doppelt so viel Geld vom Staat erhielten wie einheimische. Dass diese Botschaften sich so lawinenartig ausbreiteten, lag nicht nur an der professionellen Machart, sondern auch an Tausenden Tiktok-Teilnehmern, die sie unaufhörlich weitergaben, einen Schneeball-Effekt erzeugten. Hinter ihnen aber stehen keine realen Personen, sondern in Großrechnern erzeugte virtuelle Charaktere, sogenannte „Bots". Hinter denen steht, daran lassen EU-Abgeordnete aus Rumänien keinen Zweifel, eine ausländische Macht. Der Verdacht fällt – wenn auch noch nicht offiziell – auf Russland.

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Für Georgescu, der kommenden Sonntag aus der Pole Position in die Stichwahl gegen die Liberale Elena Lasconi geht, ist das ein politischer Triumph, für Tiktok ein gutes Geschäft und für die EU die bittere Einsicht, dass ihr DSA unterlaufen werden kann.

Ärger und Frustration im EU-Parlament

„In der EU muss das Recht die Spielregeln bestimmen, nicht das Geld, das ein Soziales Netzwerk verdienen will“, ärgert sich der deutsche EU-Parlamentarier Andreas Schwab, einer der wichtigsten Gestalter des DSA, „die aktuellen Ereignisse aber zeigen uns etwas ganz anderes.“ Geschockt von den Ereignissen in Rumänien hat das EU-Parlament im Eilverfahren die TikTok-Führung vorgeladen, um Entgleisung der Polit-Propaganda zu erklären.

Fälschungen ausgeschaltet

Die schickte am Dienstag zwei hörbar routinierte Repräsentanten nach Brüssel. Die erklärten wortreich, dass Tiktok sich den EU-Regeln „zutiefst verpflichtet“ fühle und daher alles getan habe, um die politische Propaganda aufzuspüren und die Bots auszuschalten. Man habe rund hundert Mitarbeiter allein in Rumänien im Einsatz, um die geposteten Inhalte zu überwachen, mehr als tausend Bots, oder andere gefälschte Identitäten seien gelöscht worden. Allerdings, darauf zieht sich die TikTok-Vertreter zurück, „sind zuerst jene, die politische Propaganda produzieren und posten, für deren Kennzeichnung verantwortlich“.

Wird die EU TikTok verurteilen, bestrafen? Noch laufen die Ermittlungen, für den niederländischen EU-Parlamentarier Dirk Gotink ist das Verhalten von TikTok schon jetzt nicht akzeptabel: „Zuerst schauen sie über Wochen tatenlos einem Flächenbrand zu - und dann schicken sie ein paar lächelnde Feuerwehrleute zu uns nach Brüssel.“