Sarrazin ausgeschlossen? SPD spricht von "Spekulationen"
Eine APA-Meldung wirbelte heute Donnerstag auch in Deutschland gehörig Staub auf: Thilo Sarrazin, abtrünniges SPD-Mitglied und Buchautor, soll von den deutschen Sozialdemokraten im dritten Anlauf ausgeschlossen worden sein.
Diese Entscheidung soll das Landesschiedsgericht der Berliner SPD am Mittwochabend getroffen haben. Eine besondere Rolle sollen Sarrazins Buch "Feindliche Übernahme" von 2018 und ein Auftritt des SPD-Mitglieds auf einer FPÖ-Veranstaltung in Wien im Europawahlkampf 2019 gespielt haben, hieß es weiter. Der heute 74-jährige Sarrazin war früher unter anderem Berliner Finanzsenator und Vorstand der Bundesbank.
SPD: "Spekulationen"
Von der Bundes-SPD hieß es aber gegenüber dem KURIER: "Wir wissen, dass die Entscheidung der Landesschiedskommission zeitnah kommt. Sobald wir diese kennen, werden wir uns zeitnah äußern. An Spekulationen beteiligen wir uns nicht, sondern halten uns an die von der Landesschiedskommission erbetene Verschwiegenheitspflicht bis zur Entscheidung."
Von der Berliner SPD hieß es zum KURIER etwas genauer: Eine Entscheidung des zuständigen SPD-Schiedsgerichts sei gefallen und werde den Verfahrensbeteiligten, also auch Sarrazin, noch im Laufe des Donnerstags mitgeteilt.
Sarrazin: Würde berufen
Sarrazin selbst zeigte sich unwissend über seinen angeblichen Ausschluss. Er sei irritiert über die Berichte. "Ich weiß von nichts, die SPD hat mir nichts mitgeteilt", sagte Sarrazin Donnerstagmittag auf Nachfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
"Sollten die Berichte zutreffen, werde ich auf jeden Fall Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landesschiedsgerichts der Berliner SPD einlegen", so Sarrazin weiter. "Ich ziehe vor das Bundesschiedsgericht - mein Anwalt hat schon den entsprechenden Auftrag."
Dritter Anlauf
Der frühere Berliner Finanzsenator ist wegen seiner Thesen zum Islam in der SPD eine Persona non grata. Schon lange versucht die SPD, den ideologisch abtrünnigen Sarrazin auszuschließen. Das rote Enfant terrible warnt seit Jahren alarmistisch vor einer "feindlichen Übernahme" Deutschlands durch muslimische Migranten.
Zweimal sind Anläufe zum Parteiausschluss des 74-Jährigen schon gescheitert. Die SPD-Spitze argumentiert, Sarrazins Auftritte hätten der SPD politisch schwer geschadet und das Ansehen und der Partei beschädigt.
Unstimmigkeiten
In seinem Buch "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" von 2018 prognostiziert Sarrazin, der Anteil der Muslime in Deutschland werde in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen. Gleichzeitig werde die Integration nicht gelingen. Sein Fazit: Die Einwanderung von Muslimen müsse streng reguliert werden.
Experten sahen in dem Buch unabhängig von der politischen Bewertung einige Unstimmigkeiten. So behauptete Sarrazin: "In großen Teilen der muslimischen Welt werden die jungen Mädchen beschnitten" und "Überall in der islamischen Welt können Frauen ihr Kopftuch nicht ablegen, ohne in höchste Gefahr zu geraten". Doch Beschneidungen sind vor allem in bestimmten afrikanischen Ländern ein großes Problem - und Kopftücher keineswegs überall die Regel.
Als das Buch erschien, startete die SPD ihren dritten Versuch, den früheren Berliner Finanzsenator aus der Partei zu werfen. Dieser dürfte laut der APA-Meldung vom Donnerstag zumindest eine Etappe weiter sein.
"Klar rassistisch"
Die zwei bisherigen Versuche der SPD, Sarrazin auszuschließen, waren davor mangels rechtssicherer Belege gescheitert. Der zweite Anlauf war nach Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" unternommen worden.
Im Zuge des nun dritten Ausschluss-Versuchs urteilte das Schiedsgericht des Berliner SPD-Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf im vergangenen Sommer, Sarrazins neue Äußerungen seien "klar rassistisch". Zudem habe Sarrazin in dem Verfahren nicht überzeugend dargelegt, warum die SPD - nach mehr als 45 Jahren Mitgliedschaft - überhaupt noch seine politische Heimat sei. Es sei nicht erkennbar, "dass die SPD-Mitgliedschaft, mag sie auch noch so lange gedauert haben, mehr als rein praktischen oder gar geschäftlichen Wert" für Sarrazin habe. Der Antrag auf Ausschluss war von der SPD-Spitze gekommen.
Berufung im Sommer
Sarrazin hatte erst vor zwei Wochen gesagt, er glaube nicht an seinen Anschluss. Sarrazin hatte das erstinstanzliche Urteil des SPD-Schiedsgerichts Charlottenburg-Wilmersdorf zurückgewiesen und dagegen Berufung eingelegt.
Die SPD sieht Sarrazin als hoffnungslosen Fall. "Er vertritt Positionen, die nicht unsere sind“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Sommer. "Für rassistische Gedanken ist in der SPD kein Platz."
Der ehemalige SPD-Vizechef Ralf Stegner machte am Donnerstag auf Twitter deutlich, er würde einen Ausschluss Sarrazins sehr begrüßen.
Anmerkung: In einer früheren Version hieß es irrtümlich, Sarrazin sei bereits definitiv aus der SPD ausgeschlossen worden. Dies ist, nicht zuletzt aufgrund dessen Berufungsmöglichkeiten, nicht richtig. Wir bedauern.