Terror vor Synagoge in Jerusalem: Sieben Menschen erschossen
Seit Tagen wachsen die Spannungen in Israel und den Palästinensergebieten. Zuerst kam es bei einer Razzia der israelischen Polizei zu Zusammenstößen mit Toten im Westjordanland, danach zu israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen mit mehreren Opfern.
Jetzt ist die Gewalt direkt in Jerusalem eskaliert. In einer jüdischen Siedlung in Ostjerusalem kam es am Freitagabend zu einem Feuerüberfall vor einer Synagoge. Unmittelbar nach dem Freitagabend-Gebet, als die Gläubigen auf die Straße strömten, eröffnete ein Angreifer das Feuer.
Laut Berichten israelischer Medien wurden dabei mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Die Polizei erschoss den Angreifer. Nach ersten Erkenntnissen handelte es sich um einen 21-Jährigen aus Ost-Jerusalem. Demnach habe er allein gehandelt. Die Ermittlungen dauerten jedoch an, hieß es in der Nacht.
Premierminister Benjamin Netanyahu und der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir besuchten noch am Abend den Schauplatz. Netanyahu rief die Bevölkerung dazu auf, das Gesetz nicht in die eigenen Hände zu nehmen. "Dafür haben wir eine Armee und eine Polizei, die vom Kabinett Anweisungen erhalten". Das Sicherheitskabinett sei demnach für Samstagabend einberufen worden. "Wir werden entschlossen und ruhig handeln."
Der Polizeiminister forderte derweil, Bürger "besser zu bewaffnen, um solche Anschläge zu vermeiden". Aus der Menge ringsum war der Ruf "Tod den Arabern" zu hören, wie AFP-Journalisten berichteten. In palästinensischen Städten wie Ramallah im Westjordanland jubelten Menschenmengen angesichts des Massakers und schwenkten palästinensische Flaggen.
Israel kündigt entschlossene Reaktion an
Nach dem Anschlag hat Israel ein konsequentes Vorgehen angekündigt. Die Sicherheitskräfte würden "entschlossen und energisch gegen den Terror handeln und jeden Beteiligten an dem Anschlag erreichen", teilte der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant am späten Freitagabend mit. Sicherheitskräfte in Jerusalem und im Westjordanland seien bereits verstärkt worden.
Tödliche Razzia
Israelische Luftangriffe im Gazastreifen am Freitag frühmorgens hatten schon zuvor die Angst vor einer weiteren Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern wachsen lassen. Die Angriffe vom Freitag waren laut israelischer Armee eine Reaktion auf aus dem Palästinensergebiet abgeschossene Raketen.
Militante Palästinenser nannten die abgefeuerten Raketen "Teil einer Botschaft" nach der tödlichen Razzia der israelischen Armee gegen Palästinenser im besetzten Westjordanland. Dabei waren zehn Palästinenser ums Leben gekommen.
US-Außenminister will vermitteln
Ziele der israelischen Luftangriffe sollen eine "unterirdische Raketenproduktionsstätte" der radikalislamischen Palästinenserorganisation sowie eine Hamas-Basis im Norden des Gebiets gewesen sein. Die Raketen aus dem Gazastreifen wurden laut der israelischen Armee von ihrem Luftabwehrsystem abgefangen. Verletzte wurden nicht gemeldet. Zunächst übernahm niemand die Verantwortung für die Angriffe aus dem Gazastreifen.
Später teilte aber die radikale Gruppierung Islamischer Jihad mit, die Raketen seien "Teil einer Botschaft" gewesen, um zu zeigen, dass "palästinensisches Blut nicht billig ist". Khaled al-Bach, ein führender Vertreter des Islamischen Jihad, lobte bei einer Kundgebung im Gazastreifen am Freitagnachmittag die "Einheit der Reihen des Widerstands".
Die USA sagten Israel umgehend Unterstützung zu. US-Präsident Joe Biden habe Regierungschef Netanyahu in einem Telefongespräch "alle angemessenen Mittel der Unterstützung" angeboten, teilte das Weiße Haus am Freitag mit. US-Außenminister Anthony Blinken will bei seiner Nahost-Reise in der kommenden Woche vermitteln. Er hatte den Angriff auf eine Synagoge in einem Vorort von Jerusalem zuvor als "grauenhaften Terror-Anschlag" verurteilt. "Wir stehen in engem Kontakt mit unseren israelischen Partnern und bekräftigen unser unerschütterliches Engagement für Israels Sicherheit", sagte Blinken in einer Erklärung am Freitag.
Der Anschlag wurde international scharf verurteilt. UNO-Generalsekretär António Guterres wertete es als "besonders abscheulich, dass dieser Angriff auf eine religiöse Stätte und am internationalen Holocaust-Gedenktag stattfand". Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, schrieb von einem "bösartigen Terrorakt gegen Juden am Holocaust-Gedenktag".Bundespräsident Alexander Van der Bellen verurteilte den "entsetzlichen Angriff" aufs Schärfste und zeigte sich "zutiefst besorgt wegen der Gewaltspirale in den vergangenen Tagen". "Es ist wichtig, dass sich alle Seiten um Deeskalation bemühen", schrieb Van der Bellen in der Nacht auf Samstag in einem persönlich gezeichneten englischsprachigen Tweet.
"Es gibt keine Entschuldigung dafür, Gotteshäuser anzugreifen", schrieb das Wiener Außenamt auf Twitter. "Der Anschlag auf eine Synagoge in Jerusalem führt schmerzlich vor Augen, dass wir weiterhin entschlossen gegen Antisemitismus und Terrorismus kämpfen müssen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). "Terror bedeutet nur Zerstörung und Mord. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Terrorismus entschieden zu bekämpfen."
Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden, radikalislamischen Hamas teilte mit, der Anschlag sei "eine Vergeltung für den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Jenin am Donnerstag". Bei einem Feuergefecht mit israelischen Soldaten in der Stadt waren neun Palästinenser getötet und 20 weitere verletzt worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Betselem war es der tödlichste Militäransatz in dem Gebiet seit mehr als 20 Jahren.
Hintergrund
Die Stadt Jenin liegt keine 80 Kilometer Luftlinie von Jerusalem entfernt und gehört zu den allein von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Zonen. Die Stadt gilt als Hochburg militanter Palästinenser. Diese sind eng mit Gruppierungen im Gazastreifen verknüpft. Der vom Iran finanzierte Islamische Jihad ist dort hauptsächlich aktiv und greift Israel von der Küstenenklave regelmäßig mit Raketen an. Ob die Organisation für die Raketenangriffe am Freitag verantwortlich ist, war zunächst unklar.
Berichten aus dem Gazastreifen zufolge bemühten sich Ägypten und der Golfstaat Katar am Donnerstag und Freitag unter Hochdruck, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Die Kooperation mit Israel in Sicherheitsfragen kündigte die Palästinensische Autonomiebehörde am Donnerstagabend bereits auf. Als Grund nannte die Behörde einseitige Schritte und Maßnahmen Israels im Westjordanland sowie die Vorfälle in Jenin. Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde schon bei früheren Gelegenheiten gemacht - sie wurden allerdings de facto nicht umgesetzt.
Seit fast einem Jahr kommt es im Westjordanland beinahe täglich zu tödlichen Konfrontationen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Seit einer Serie von Anschlägen, die Palästinenser im Frühjahr verübt haben, unternimmt Israels Armee dort vermehrt Razzien. Allein in diesem Jahr wurden in dem Zusammenhang oder bei eigenen Anschlägen rund 30 Palästinenser getötet, unter ihnen fünf Jugendliche.