Syrische Opposition: Von Assad stumm geschaltet
Samer Syasneh ist verschwunden. Wieder.
Er war ein Teenager, als er mit seinen Freunden 2011 „Du bist der nächste, Doktor“, an eine Wand in Dara’a gesprayt hatte und damit das Ende das Assad-Regimes herbeiwünschte. Die Buben wurden von Sicherheitskräften verschleppt, waren wochenlang verschwunden. Proteste gegen Assad waren die Folge, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Buben wurden freigelassen, doch von den Listen der Regierung verschwanden ihre Namen nie.
Syasneh ist im Vorjahr wieder verschwunden. Niemand weiß, wo er jetzt ist.
Kein Ende
Geschichten wie diese kann Abdellah Alkhatib viele erzählen. Der syrisch-palästinensische Aktivist kommt aus Jarmouk, einer Palästinensersiedlung im Süden von Damaskus. Als der IS die ehemalige Rebellenhochburg 2015 einnahm, floh er in einen Nachbarbezirk. Das Regime eroberte Jarmouk im Vorjahr. Alkhatib musste gehen, er lebt heute in Deutschland.
Während das Regime in Syrien nun alles daran setzt, ein Image des Wiederaufbaus und der Versöhnung aufzubauen, hört für andere der Schrecken des Krieges nicht auf.
„Die Erzählungen vom Wiederaufbau werden vom Regime benutzt, um sich zu relegitimieren, ohne Verantwortung für Kriegsverbrechen übernehmen zu müssen“, sagt Abdellah Alkhatib im KURIER-Gespräch. Das Regime versuche, die alten Sicherheits- und Klientelstrukturen wieder aufzubauen.
„Die Annahme, dass der Krieg vorbei ist, ist die Darstellung von Russland und Syrien.“ Die Vertriebenen oder jene, die unter strengen Auflagen in ihren Häusern geblieben sind, kommen nicht zur Ruhe. Viele seien vom Sicherheitsapparat zwangsrekrutiert worden, erzählt Alkhatib, viele verhaftet, andere zahlten 10.000 Euro „Schutzgeld“, um nicht festgenommen zu werden.
Die Regierung macht es den Menschen schwer, die sich nicht fügen. Immer noch gibt es viele Verhaftungen, Vertreibung, mit einem Dekret wurden Tausende Syrer, die derzeit im Ausland sind, enteignet. Das Assad-Regime versuche, seine Feinde stumm zu schalten, melden Kritiker.
Doch das Ganze habe noch eine schlimmere Dimension, erklärt der Aktivist: Rache. Das Verschwinden von Samer Syasneh sei ein Beispiel dafür. „Assad will ein homogenes Syrien. Er bezeichnet jeden Oppositionellen als ,Terroristen’. Das Phänomen Opposition wird in sein politisches System einfach nicht integriert. Die Logik des syrischen Regimes ist es, keinen Raum für Kritik zu lassen.“
Die Regimelogik werde auch durch das Zivilregister von Ende 2018 deutlich: Dort haben die Sicherheitskräfte die Namen jener Menschen veröffentlicht, die in Haft gestorben waren. Weil viele dasselbe Todesdatum haben, liegt der Vorwurf von Massenexekutionen in der Luft.
Rückkehr unrealistisch
„Man muss sich dessen im Klaren sein, dass die syrischen Flüchtlinge in Europa wahrscheinlich alle Verwandte oder Freunde haben, die in Syrien in Haft sind“, sagt Alkhatib. Sie alle wüssten also, wozu das Regime fähig ist. „Eine Rückkehr ist unrealistisch. Sie bedeutet wahrscheinlich Haft. Das wissen alle.“ Bevor man über die Rückkehr von Flüchtlingen nachdenke, müsse man sich bewusst werden, dass mehr als sechs Millionen Menschen intern vertrieben sind. „Sie brauchen strengste Genehmigungen, um überhaupt ihr Haus zu besuchen.“