Syrien: Türkei treibt die NATO vor sich her
„Wir beginnen doch keinen Krieg gegen einen NATO-Alliierten!“ Donald Trumps neuer Verteidigungsminister Mark Esper stellt gleich klar, wer die alleinige Verantwortung für die türkische Invasion in Nordsyrien trägt: Die Türkei – und mitnichten die USA, die ihre Soldaten aus dem kurdisch bewohnten Grenzgebiet zur Türkei vor zwei Wochen abgezogen hatten.
Und so ließ Esper am Donnerstag bei einem öffentlichen Vortrag in Brüssel die militärische Supermacht USA seltsam schwach aussehen, als er sagte: „Es war klar, dass die Türkei nach Syrien rein gehen würde. Also haben wir unsere 50 Soldaten abgezogen. Wir können nicht mit unseren 50 Männern 15.000 türkische Soldaten stoppen.“
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und sein Militär haben indessen auf nordsyrischem Staatsgebiet vollzogene Tatsachen geschaffen. An die 200.000 Menschen sind geflohen, mit den Türken verbündete Milizen verübten schwerste Verbrechen, und die Kurdenmiliz YPG muss binnen weniger Tage aus dem Grenzgebiet abziehen. Danach werden gemeinsame türkisch-russische Patrouillen im Grenzgebiet beginnen.
Schwieriges Mitglied
Dass der NATO-Staat Türkei mit Russland, dem Erzfeind der NATO, in Syrien gemeinsame Sache macht, ist nur einer von vielen Gründen, warum das schwierige Mitglied Türkei das bis heute dauernde zweitägige Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel dominiert. Vom fernen Washington aus sieht US-Präsident Trump zwar die Wogen wieder geglättet: Der Waffenstillstand in Nordsyrien sei nun „dauerhaft“. Deswegen ließ Trump die gegen die Türkei verhängten US-Sanktionen auch gleich wieder aufheben. Trumps Fazit: „Die USA haben in Syrien großartige Arbeit geleistet.“
Sein Verteidigungsminister Esper aber hält an seiner Kritik fest: Generell gehe die Türkei „in die falsche Richtung“, mahnte er und musste eingestehen: „Ich habe heute keine Lösung.“ So groß die Spannungen der 28 anderen NATO-Mitglieder mit Ankara auch sind – mit Drohungen ist der Türkei im Militärbündnis nicht beizukommen.
Denn in der NATO gibt es weder Sanktionen noch die Möglichkeit des Rauswurfes eines Mitgliedes. Schon gar nicht eines strategisch so unverzichtbaren Partners wie der Türkei. Da mag sie ein russisches Raketenabwehrsystem kaufen – und die USA damit zur Weißglut treiben. Doch über 2.000 US-Soldaten sind in der Türkei stationiert, die meisten am Luftwaffenstützpunkt Incirlink.
Um seine strategische Bedeutung wissend, hat der türkische Verteidigungsminister denn auch wenig Kritik von seinen NATO-Kollegen zu fürchten. Anhören wird man sich auch den Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer. Sie wirbt für die Einrichtung einer Sicherheitszone im Grenzgebiet zur Türkei. Im Umfeld der NATO-Tagung hieß es dazu gestern: Der Vorschlag sei „unausgegoren“.