Politik/Ausland

Spindelegger fordert: „EU-Hilfe für Ägypten stoppen“

KURIER: Herr Minister, Sie haben Freitag den ägyptischen Botschafter ins Außenamt bestellt, was haben Sie gesagt?

Michael Spindelegger: Ich habe klargemacht, dass wir die Art, wie in Ägypten vorgegangen wird, also Eskalation auf der Straße und kein Dialog, einfach nicht akzeptieren können. Das ist eine sehr bedenkliche Situation. Das muss er jetzt seiner Regierung berichten.

Was hat er geantwortet?

Gar nichts. Das wird zur Kenntnis genommen und weitergeleitet.

Keine Darstellung der ägyptischen Position?

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Die ägyptische Position ist: Wir haben aufgrund der Demonstrationen und der Unzufriedenheit der Bevölkerung Präsident Mursi absetzen müssen, und das Militär hat da eine außergewöhnliche Rolle gehabt.

Wertet Österreich die Absetzung Mursis als Putsch?

Man muss beide Seiten der Medaille sehen. Das eine ist das militärische Eingreifen gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten. Das andere die Größe der Proteste gegen Mursi, die hat die gegen Mubarak überstiegen.

Also Putsch oder nicht?

Die Etikettierung – Putsch oder Militärintervention – ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass es rasch Neuwahlen gibt, damit es wieder eine demokratisch legitimierte Vertretung Ägyptens gibt.

Welche Handhabe hat der Westen, die Gewalt zu stoppen?

Ich habe mit Außenminister Westerwelle ein außertourliches Treffen der EU-Außenminister vorgeschlagen, die EU muss mit einer Zunge sprechen. Bei den finanziellen Hilfen muss es Druck geben: Die politische Maxime der EU „Mehr für Mehr – Weniger für Weniger“ muss konsequent umgesetzt werde. Es kann kein Mehr geben, wenn dieser Zustand anhält.

Das heißt ein Stopp der Hilfe?

Das ist meine Forderung: Die fünf Milliarden Euro müssen zurückgehalten werden, bis der Prozess wieder in Richtung Demokratie geht.

Der Westen sieht die Gewalt, braucht Ägypten aber als relativ moderaten Player in der Region – eine Zwickmühle?

Natürlich braucht man diesen Player. Aber wenn militärisches Einschreiten und Ausnahmezustand statt Demokratie die Oberhand haben, hat das auch Einfluss auf andere Staaten.

Muslimbrüder an der Macht waren dem Westen nicht geheuer.

Wenn sie demokratisch legitimiert sind, können wir das nicht uminterpretieren. Aber man muss demokratisch legitimiert auch Grundsätze einhalten, kann sich keine Verfassung zurechtbiegen und die Scharia einführen.

Wien sprach eine Reisewarnung aus, als die USA ihre Bürger längst zum Heimkehren aufgefordert und die Skandinavier ihre bereits ausgeflogen haben – warum so spät?

Wir haben schon Mittwoch ein Team in die Urlaubsorte am Roten Meer geschickt und gesehen: Es ist noch relativ ruhig, aber die Demonstrationen mit Toten können auch überschwappen. Daher haben wir gesagt: Es sollen keine neuen Reisen angetreten werden, aber diejenigen, die dort sind, müssen nicht in Panik abreisen.

Und falls die Lage eskaliert?

Wir haben Notfallpläne und können die Menschen rasch nach Hause bringen.

Einen Tag nach dem von den ägyptischen Islamisten ausgerufenen "Freitag der Wut" schürt Übergangspremier Hazem al-Beblawi erneut das Feuer. Er will offenbar die Muslimbruderschaft verbieten lassen. Er soll dem zuständigen Sozialminister den Vorschlag unterbreitet haben, die Vereinigung auflösen zu lassen, erklärte ein Regierungssprecher am Samstag. Die Regierung muss nun darüber beraten.

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In Ägypten stehen seit Wochen alle Zeichen auf Konfrontation. Am gestrigen "Freitag der Wut" stieg die Zahl der Toten auf mehr als 100, wie das Nachrichtenportalyoum7meldete. Unter den Toten ist auch der Sohn von Muslimbrüder-Oberhaupt Mohammed Badie.

Rund 1000 Anhänger der Muslimbrüder wurden zudem verhaftet - darunter auch einen Bruder des Anführers der Terrornetzwerks El Kaida, Ayman al-Zawahiri. Mohammed al-Zawahiri gehört einer Bewegung radikaler Salafisten mit Verbindungen zu militanten Gruppen an. Während der Amtszeit Mursis hatte er angeboten, zwischen militanten Salafisten auf der Sinai-Halbinsel und der Regierung zu vermitteln.

Schüsse bei Moschee

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In der Hauptstadt gab es auch am Samstag bürgerkriegsähnliche Szenen. Besonders gespannt war die Lage in der Kairoer Al-Fath-Moschee, in der Hunderte Mursi-Anhänger die Nacht über ausharrten und die von Sicherheitskräften umstellt war. Am Morgen verließen viele von ihnen zwar das Gebäude, rund 700 Personen befanden sich allerdings auch zur Mittagszeit noch im Inneren des Gotteshauses.

Am Nachmittag begann die Armee schließlich gewaltsam mit der Räumung des Gebäudes. Vor dem Gotteshaus versammelte Anrainer schlugen auf die Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi ein, als diese aus dem Gebäude geführt wurden, berichtete ein AFP-Reporter. Bereits zuvor war es zu Schusswechseln zwischen Muslimbrüdern und Sicherheitskräften inner- und außerhalb des Gebäudes gekommen. Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena meldete, Bewaffnete hätten aus der Al-Fath-Moschee das Feuer auf gepanzerte Armeefahrzeuge eröffnet. Im Fernsehen war zu sehen, dass Sicherheitskräfte auf das Minarett schossen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, Bewaffnete hätten im Inneren der Moschee auf Sicherheitskräfte geschossen. Am frühen Abend wurde die Moschee vollständig geräumt, hieß es aus Sicherheitskreisen.

Bilder: Moschee als Kampfplatz

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Nach der blutigen Räumung der Protestcamps der Muslimbrüder mit mehr als 360 Toten war der Freitag ein neuer trauriger Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Militär und Islamisten in Ägypten. Die Anhänger der Muslimbruderschaft wollen die Absetzung von Mohammed Mursi als Präsident nicht akzeptieren und sprechen von einem Putsch. Wochenlange Proteste hatten zu Mursis Absetzung geführt, seitdem demonstrieren die Islamisten. Und die Muslimbrüder denken auch jetzt nicht ans Einlenken. Sie riefen nun zu einer Woche landesweiter Proteste auf.

Reisewarnungen

Der Westen zeigt sich von der Gewalt schockiert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Beziehungen zu dem Land auf den Prüfstand stellen. Sie forderte nach einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten François Hollande ein Ende des Blutvergießens. Die deutsche Regierung will nun auch keine neuen Waffenexporte in das Land genehmigen, wie Außenminister Guido Westerwelle dem Focus sagte. Dem Bericht zufolge prüft die deutsche Regierung derzeit, wie mit bereits genehmigten, aber noch nicht erfolgten Waffenexporten umgegangen werden soll.

Das österreichische Außenministerium gab am Freitag eine Reisewarnung für ganz Ägypten heraus. Urlauber, die sich bereits im Land befänden, könnten ihre Reise fortsetzten, so Außenminister Michael Spindelegger. Er habe zwei Mitarbeiter in die Tourismusorte Sharm el-Sheikh und Hurghada geschickt, fügte der Außenminister hinzu. "Die Lage dort ist derzeit noch ruhig", für den Notfall habe man jedoch Vorsorge getroffen.

Wegen der Unruhen verschärfte auch das deutsche Auswärtige Amt seine Reisehinweise für das Land. Neu ist, dass in Deutschland nun auch von Reisen in die Urlaubsgebiete am Roten Meer um Hurghada und Sharm el-Sheikh abgeraten wird. Vor Reisen etwa nach Kairo oder ins Nildelta wurde bereits zuvor "dringend abgeraten".

Prozess gegen Mubarak

Während Mursi vom Militär an einem unbekannten Ort festgehalten wird, geht der Prozess gegen dessen Vorgänger weiter. Aus Sicherheitsgründen wurde der Verhandlungstag gegen Hosni Mubarak und neun weitere Angeklagte am Samstag jedoch in dessen Abwesenheit geführt. Auch seine beiden Söhne Alaa und Gamal sowie Ex-Innenminister Habib el-Adly wurden von der Polizei nicht zum Gerichtssaal in der Polizeiakademie von Kairo gebracht. Vor Gericht standen allerdings sechs Assistenten des früheren Innenministers El-Adly. Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Polizei habe einen störungsfreien Transport Mubaraks zum Gerichtsgebäude aufgrund der angespannten Sicherheitslage nicht gewährleisten können. Schließlich wurde der Prozess auf 25. August vertagt.

Langzeitpräsident Mubarak war im Februar 2011 nach Massenprotesten von der Militärführung zum Rücktritt gezwungen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, an der Tötung von mehr als 800 Demonstranten während der damaligen Proteste beteiligt gewesen zu sein. Mubarak und El-Adly wurden bereits im Juni 2012 zu lebenslanger Haft verurteilt. Aufgrund von Verfahrensfehlern musste der Prozess jedoch neu aufgerollt werden.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat den "exzessiven Gewalteinsatz" in Ägypten scharf verurteilt und die Konfliktparteien am Samstag zur sofortigen Deeskalation aufgerufen. Angriffe auf Kirchen, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen seien "nicht hinnehmbar", hieß es in einer Erklärung von Bans Sprecher. "Ungeachtet des Leidens gibt es keine Rechtfertigung für die Zerstörung von Infrastruktur und Eigentum, was für die Zukunft Ägyptens so wichtig ist", hieß es darin weiter.

Ban ließ erklären, dass die Vermeidung weiteren Blutvergießens für die Ägypter "höchste Priorität haben muss in diesem gefährlichen Moment". Sowohl die politisch Verantwortlichen als auch die Menschen in den Straßen müssten sich äußerst zurückhalten und sofort auf Deeskalation umschalten. Der "von der Gewalt als Geisel genommene politische Prozess" müsse umgehend wiederbelebt werden.