Sky Shield: 21 Länder beteiligen sich am Luftverteidigungssystem
An der geplanten europäischen Sky Shield Initiative beteiligen sich 21 Länder. Das von Deutschland initiierte Luftverteidigungsprojekt "verfolgt die gleiche Logik" wie das israelische Luftverteidigungssystem, das sich Mitte April gegen einen iranischen Großangriff mit Hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen bewährt hat, erklärt der Chefplaner des österreichischen Bundesheers und stellvertretende Generalstabschef, Generalleutnant Bruno Hofbauer, gegenüber der APA.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) wird beim EU-Verteidigungsministertreffen am Dienstag eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) zum Beitritt Österreichs zur "European Sky Shield Initiative" (ESSI) unterzeichnen.
15 Länder zählen zu den Gründungsmitgliedern der Initiative: Neben Deutschland sind das die NATO-Mitglieder Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Großbritannien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Später haben Dänemark, Schweden, Österreich, die Schweiz, Griechenland und Türkei ihre Beteiligung erklärt. Die polnische Regierung hat ebenfalls angekündigt, mitzumachen. Frankreich dagegen lehnt eine Teilnahme ab. Paris kritisiert, dass dafür auch nichteuropäische Technologie aus Israel und den USA eingekauft wird.
Mit ESSI soll ein Schutzschirm über die teilnehmenden Länder gespannt werden, der Drohnen und Raketen - auch ballistische und atomar bestückte - frühzeitig erkennen und abwehren kann. Österreich hatte 2023 in einer Zusatzerklärung festgehalten, dass es sich nur an Beschaffungs-, Ausbildungs- und Übungsmaßnahmen beteiligen werde. Weiters wurde klargestellt, dass die Teilnahme am Sky Shield nicht als Teilnahme an einem Militärbündnis gewertet werden könne. Die Regierung betont, dass dadurch keine Gefahr für die Neutralität bestehe.
Auch Experten bestätigen das. "Nach der derzeitigen Ausgestaltung ist eine Teilnahme Österreichs an der Sky-Shield-Initiative mit der dauernden Neutralität vollkommen vereinbar", erklärt Europa- und Völkerrechtsexperte Walter Obwexer im Gespräch mit der APA. Eine gemeinsame Beschaffung, Nutzung und Ausbildung stehe der Neutralität nicht im Weg. Sollte ein Flugobjekt in den österreichischen Luftraum eintreten, müsse Österreich den Abschussbefehl erteilen. Laut Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bleibe die Verantwortung, welches Flugobjekt wann bekämpft werde, beim Nationalstaat.
Sky Shield verfolgt einen "Layer"-Ansatz mit unterschiedlichen Reichweiten wie auch das israelische Luftabwehrsystem, betont Hofbauer. Für Österreich stehe die Kooperation im Beschaffungsbereich im Vordergrund, um neue Fähigkeiten aufzubauen, die das Bundesheer bisher nicht hatte. "Dann würden auch wir (...) nicht nur wenige tausend Meter Reichweite haben, sondern in der mittleren Reichweite von 40 bis 50 Kilometern um ein Objekt eine Schutzschicht aufbauen können und in der großen Reichweite über 100 Kilometer kommen."
Im Kurzstreckenbereich habe Österreich seit Jahren ein Kanonensystem im Einsatz. "Das wird gerade kampfwertgesteigert." Konkret handle es sich um 35-Millimeter-Zwillingsmaschinenkanonen, wovon Österreich 24 Stück besitze. Dazu kommen auf kurzer Reichweite 36 Stück des Fliegerabwehr-Turms Skyranger, die das Bundesheer bestellt hat. Die Skyranger werden auf "Pandur"-Panzer montiert und sind dadurch mobil einsetzbar.
Österreich wolle im Rahmen der Sky Shield Initiative ein System mittlerer Reichweite aufbauen. Das sei in den Finanzmitteln des Aufbauplans für das Bundesheer bereits enthalten. Dazu laufen Gespräche und Beurteilungen. Bis zum Sommer werde der Generalstab eine Empfehlung abgeben können, meint der stellvertretende Generalstabschef. Das deutsche Mittelstrecken-Luftabwehrsystem Iris-T sei "eine sehr gute Möglichkeit". Eine Verfügbarkeit sei frühestens ab den Jahren 2027 oder 2028 vorstellbar.
Auch Flugabwehrsysteme größerer Reichweite wie das US-amerikanische System "Patriot" seien "in der Beurteilung". "Dazu braucht es aber eine eigene Finanzierung", betont Hofbauer. Die Planungsphase dafür würde das ganze heurige Jahr brauchen. Deutschland hat den Kauf des israelischen System Arrow 3 im Rahmen von Sky Shield bereits vereinbart. Arrow 3 sei in der Lage, Raketen außerhalb der Erdatmosphäre abzufangen, erklärt Hofbauer.
Das israelische Abwehrsystem besteht aus dem Iron Dome (Eisenkuppel) zur Abwehr von Kurzstreckenraketen und Artilleriegranaten. Es hat eine Reichweite von 15 bis 20 Kilometern. Für größere Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite bis zu 250 Kilometern kommt in Israel das System David's Sling (Schleuder Davids) zum Einsatz. Für ballistische Raketen größerer Reichweite hat Israel darüber hinaus das Arrow-Abwehrsystem. Laut Hersteller kann Arrow 3 Abfangraketen in der Höhe von 100 Kilometern abschießen und hat eine Reichweite von bis zu 2.400 Kilometern.
Das israelische Luftverteidigungssystem hat eine Erfolgsquote von 90 Prozent. Hofbauer wertete dies als "sehr hohes Ziel". Üblicherweise gehe man von einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit eines Treffers aus, weil auch Ausweichmanöver und technische Schwierigkeiten eingerechnet werden müssen, erläuterte Hofbauer.
Angesprochen auf die Kosten solcher Systeme antwortet Hofbauer, dass Österreich, das neutral und nicht Teil eines Bündnisses sei, "alles tun muss, um die Bevölkerung zu schützen". Man könne Bedrohungen aus der Luft nicht ausschließen und wisse nicht, wie sich die Lage in den kommenden Jahren entwickle. "Die Raketentechnologie schreitet voran."
Bis die verschiedenen Systeme einsetzbar seien, das Personal geschult und die Logistik funktioniere, dauere es acht bis zehn Jahre. Deswegen seien Systeme, die sich im Einsatz bewährt haben, "ein Faktor". Schätzungen zufolge soll die Abwehr des iranischen Angriffs Israel rund eine Milliarde Euro gekostet haben. Von den hunderten abgefeuerten Geschossen konnten dabei nach israelischen Angaben "99 Prozent" abgefangen werden.