„Shutdown“: Allein um Washington verliert Wirtschaft 100 Millionen Dollar – pro Tag
Von Dirk Hautkapp
Wut wächst. Am Tag, wenn die USA offiziell und feierlich ihrem großen Bürgerrechts-Anführer huldigen, haben Worte der Versöhnung und Überparteilichkeit Tradition. Der gestrige „Martin Luther King Day“ atmete einen etwas anderen Ton. Amerika ist wütend. Wegen des seit nunmehr 31 Tagen andauernden Regierungsstillstands, der 800.000 Staatsbedienstete ohne Lohn lässt, fielen vielerorts im Land Gedenkveranstaltungen aus. Weil zu den Ausgesperrten auch Tausende Angestellte der National-Park-Verwaltung gehören. In dieser Gemengelage stieß sauer auf, als Vizepräsident Mike Pence den jüngsten „Kompromissvorschlag“ von Donald Trump zur Beendigung des „Shutdowns“ in den Geist des afro-amerikanischen National-Helden „MLK“ stellte, der im Jänner 1968 in Memphis erschossen worden war.
Kritisierter Vergleich
Wie Martin Luther King, sagte Pence, versuche auch Präsident Trump Amerika zu „inspirieren“. Sein Vorschlag an die Demokraten – Ihr gebt mir für den Bau einer Barriere aus Stahlplatten an der Grenze zu Mexiko rund sechs Milliarden Dollar Anschubfinanzierung; im Gegenzug gewähre ich rund einer Million Latino-Migranten drei Jahre lang Schutz vor Abschiebung – sei in „guter Absicht“ ergangen, um die Nation voranzubringen.
Prompt konterte für die Opposition die kalifornische Abgeordnete Jackie Speier: „Das Vermächtnis eines Champions der Bürgerrechte mit einem Projekt der Eitelkeit zu vergleichen, das auf Hass und rassistische Ideologie gründet, ist mehr als schäbig.“ Ein Szenario, wie der Knoten gelöst werden könnte, mit dem Republikaner, Trump und Demokraten das Land seit Weihnachten knebeln, ist in diesem verdorbenen Gesprächsklima derzeit nirgends in Sicht. Dagegen werden die Auswirkungen der Abschaltung vieler Ministerien und Bundesbehörden mangels eines genehmigten Staatshaushalts immer prekärer. Allein der Wirtschaftskreislauf in der Region um Washington verliert nach Schätzungen von Ökonomen 100 Millionen Dollar – am Tag.
Prekäre Lage
Für den Nachbar-Bundesstaat Maryland wurde ermittelt, dass dort rund 175.000 Staatsbediensteten Lohnzahlungen von rund 800 Millionen Dollar entgehen – alle zwei Wochen. Wohltätigkeitsorganisationen, kirchliche Einrichtungen und Essen-Ausgabestellen in und um Washington sind überlaufen. In Camp Springs, einem 20.000 Einwohner-Städtchen mit hohem „federal worker“-Anteil vor den Toren Washingtons, ist die Zahl der ausgegebenen Gratis-Essen in den örtlichen Grundschulen binnen einer Woche um 40 Prozent gestiegen.
Viele Staatsangestellte, die von Gehaltscheck zu Gehaltscheck leben, haben Arbeitslosen-Unterstützung beantragt. Donald Trump nennt die betroffene Klientel „große Patrioten“ und appelliert an ihre Leidensfähigkeit – zum Wohl der nationalen Sicherheit, die es ohne Grenzwall zu Mexiko nicht geben könne.
Trumps Problem: Das Gros der Amerikaner hat registriert, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte über Jahre stetig gesunken ist. Umfragen belegen, dass nur eine Minderheit das präsidiale Kern-Argument für den Mauer- Bau – „eine akute humanitäre und nationale Krise“ – geschluckt hat. Trumps Versuch, den Demokraten die Schuld für den „Shutdown“ in die Schuhe zu schieben, schlug bisher fehl. Fast 60 Prozent der Amerikaner machen ihn dafür verantwortlich.
„Hütchenspieler“
Die Demokraten wurmt besonders das Kleingedruckte in der Offerte des Präsidenten. Sie sehen darin einen Hütchenspieler-Trick: Trump hatte die seinerzeit von Vorgänger Barack Obama im Alleingang gegen republikanischen Widerstand geschaffenen Schutz-Mechanismen („Daca“) für rund 700.000 junge Latinos 2017 persönlich aufgehoben. Als wirkungsmächtiges Symbol für eine Verschärfung der Einwanderungsgesetze. Die Gerichte sind ihm deswegen in den Arm gefallen. Weil der Oberste Gerichtshof in Washington sich bisher weigert, über den Fall letztinstanzlich zu urteilen, sind die Schutzprogramme de facto weiter in Kraft. „Wir wären darum dumm, wenn wir uns auf einen solchen Handel einlassen würden“, sagte der Büroleiter einer demokratischen Senatorin dem KURIER.
D. HAUTKAPP, Washington