Politik/Ausland

Männerfreundschaft macht Weltpolitik

War es ein Irrtum oder nur eine originell inszenierte Schlusspointe? Die Pressekonferenz von Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher in Moskau war gerade zu Ende, die politische Sensation, dass die Sowjetunion ja zur deutschen Wiedervereinigung sagte, schon um die Welt gegangen. Die Mikrofone auf dem Podium aber waren nicht abgeschaltet worden. Und so ging der rustikale Kommentar, den der Kanzler an seinen Außenminister noch rasch los wurde, auf Sendung: "Eigentlich müssten wir uns jetzt besaufen".

Saumagen am Rhein

So hemdsärmelig machte Kohl in diesem Wendejahr 89/90 auch offiziell Weltpolitik. Dass kaum ein Jahr nach dem Mauerfall Deutschland wiedervereinigt war, das boxte der Deutsche gegen mächtige Gegner – und mithilfe von heute historischen Mann-zu-Mann-Gesprächen durch. Die wichtigsten Partner dabei: US-Präsident George Bush und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Die härteste Gegnerin: Die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Sie warnte vor einem "neuen Hitler" und soll schon bei der Erwähnung eines vereinten Deutschland wütend mit den Füßen aufgestampft haben.

Mit dem Russen hatte Kohl schon länger persönliche Beziehungen aufgebaut. Schon im Juni 1989, also lange bevor der deutsche Kanzler von einer raschen Wiedervereinigung auch nur träumen konnte, war Gorbatschow Gast in Kohls legendärem Bungalow am Rhein. Nach dem unvermeidlichen Pfälzer Saumagen machte man einen Verdauungsspaziergang und Kohl nützte den Blick auf den Rhein um sein Bild von Deutschlands Zukunft deutlich zu machen: So wie dieses Wasser unaufhaltsam ins Meer fließe, gehe Deutschland seiner Einheit entgegen.

In den Wochen nach Mauerfall sollte Gorbatschow von seinen eigenen außenpolitischen Beratern überholt werden. Die nahmen Kontakte nach Bonn auf, signalisierten Bereitschaft, grünes Licht für die Wiedervereinigung zu geben. Kohl startete ermutigt seinen Alleingang. Gorbatschow fühlte sich anfangs überrollt, auch war seine Position der Sowjetführung zunehmend umstritten. Anfang 1990 rechnete man ernsthaft mit einem Militärputsch in Moskau.

Unzählige Male telefonierte Kohl mit dem Russen, schrieb ihm sogar einen persönlichen Brief, in dem er ihm die Wiedervereinigung als den einzig möglichen Weg der Geschichte erklärte. Auch die Milliardenkredite für Russland, die schließlich den Ausschlag für Gorbatschows Zustimmung gaben, sagte Kohl direkt in einem Vier-Augen-Gespräch zu.

Direkter Kontakt unter vier Augen, das war die Art, wie Kohl am liebsten Politik machte. Auch mit US-Präsident Bush suchte er solche Kontakte. Dabei half natürlich die besondere Sympathie, die die Deutschen beim deutschstämmigen Bush und bei dessen Außenminister Baker hatte. Dass Kohls Frau Hannelore und Barbara Bush sich obendrein endlos über hausfrauliche Themen austauschen konnten, komplettiert das Bild von der Männerfreundschaft nur.

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