Politik/Ausland

Sachsen/Thüringen: AfD-Chefs erheben jetzt Regierungsanspruch

Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla beanspruchen nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen eine Regierungsbeteiligung

„Natürlich haben wir Regierungsanspruch“, sagte Weidel im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Wähler hätten sich in beiden Bundesländern klar für eine Mitte-Rechts-Koalition und eine Beteiligung der AfD entschieden.

In Thüringen hat die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD nach dem vorläufigen Ergebnis 32,8 Prozent und damit den ersten Platz erreicht. Die Partei besetzt damit auch mehr als ein Drittel aller Landtagssitze und verfügt somit über eine Sperrminorität - das heißt: Sie könnte unter anderem die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren.

In Sachsen, wo die AfD ebenfalls als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, landete die Partei mit 30,6 Prozent nur knapp hinter der CDU auf Platz zwei. Anders als ursprünglich ausgewiesen hat die AfD in Sachsen eine Sperrminorität knapp verpasst, wie der zuständige Wahlleiter am Montag erklärte.

Eine Regierungsbeteiligung der AfD bleibt dennoch in beiden Bundesländern unwahrscheinlich, da bisher keine der anderen Parteien mit den Rechtsextremen koalieren will.

AfD-Spitze glaubt nicht an "Brandmauer"

Sie glaube nicht, dass sich die Brandmauer aufrechterhalten lasse, sagte AfD-Chefin Weidel. „Wir wollen mal sehen, wie sich die CDU auf Dauer verhalten wird.“ 

AfD-Chef Chrupalla bat der sächsischen CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer eine Zusammenarbeit an. „Mit wem will er denn seine Wahlversprechen umsetzen? Das würde mit uns eher klappen als, denke ich mal, zum Beispiel mit der SPD oder mit den Grünen“, sagte Chrupalla im Deutschlandfunk.

Ökonomen und Verbände besorgt

Top-Ökonomen und Verbände in Deutschland warnen nach den Erfolgen von AfD und BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Für die sächsischen und thüringischen Unternehmen, die auch im globalen Wettbewerb stünden, könne sich der Arbeitskräftemangel weiter verschärfen, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der Nachrichtenagentur Reuters.

"Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen", sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates.

Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden dadurch weiter ihre Leistungen verringern müssen. Beide Freistaaten hätten seit der Wiedervereinigung etwa ein Fünftel der Bevölkerung verloren. Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren weitere 20 bis 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung verlieren. 

"Der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich also noch weiter verschärfen", sagte die Top-Ökonomin und fügte mit Blick auf die AfD hinzu: "Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen."

Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, sagte auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen werde. 

"Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren", sagte der Ökonom. "Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben."

Besorgt äußerte sich auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft. "Für die Wirtschaft kann das nichts Gutes verheißen, denn es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen", sagte IW-Direktor Michael Hüther zu Reuters. 

Da die Bundesebene ihren Einfluss auf die Wahlergebnisse gehabt haben dürfte, müssten auch dort die Herausforderungen entschlossen angegangen werden. "Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab", sagte Hüther. "Da Abstiegsängste und Entwertungserfahrungen einen großen Einfluss haben, braucht es vielmehr den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates."

Wirtschaftsverbände zeigen sich ebenfalls besorgt. "Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen ein Warnsignal", sagte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. "Deutschland muss ein Land bleiben, das für Weltoffenheit und Innovationsfreude steht." Diese Werte würden weder AfD noch BSW vertreten.

 Ohne qualifizierte Zuwanderung könne Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken. "Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können", sagte Wintergerst. "Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen."