Politik/Ausland

Razzien: 700 Festnahmen nach Terroranschlägen

Die Polizei fahndet mit Hochdruck nach den Hintermännern der blutigen Anschläge von Wolgograd: Bei Razzien hat die Exekutive im ehemaligen Stalingrad mindestens 700 Menschen kurzfristig festgenommen. Bei den vor allem aus Zentralasien und dem Kaukasus stammenden Migranten seien Waffen und Drogen gefunden worden, sagte Innemninisteriums-Sprecherin Swetlana Smoljaninowa. Viele der Arbeiter besäßen zudem gefälschte Dokumente.

Bei einem Anti-Terror-Einsatz im Nordkaukasus töteten kremltreue Einheiten zudem zwei "Banditen", die angeblich Anschläge vorbereiteten.

Bis zur Ausradierung

Einen konkreten Verdacht nach den beiden Attentaten mit mindestens 34 Toten hätten die Sicherheitsbehörden aber noch nicht entdeckt. „Die Suche nach den Drahtziehern verläuft mit Hochdruck“, sagte Smoljaninowa. Präsident Wladimir Putin hat den Hintermännern der Selbstmordanschläge im Bahnhof und in einem Bus Vergeltung angedroht – „bis zur Ausradierung“ wolle man sie verfolgen, so der Präsident.

Putin hatte am Neujahrstag unangekündigt dieÜberlebenden der Terroranschläge besucht. An einem der Anschlagsorte legte der Präsident Blumen nieder, am Krankenbett tröstete er Schwerverletzte. Die Opfer gaben sich im Staatsfernsehen unbeugsam: „Wir Wolgograder lassen uns nicht so einfach unterkriegen“, sagte eine ältere Frau zu Putin und erinnerte an die blutige Schlacht in der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Gut 70 Jahre später sei das damalige Stalingrad wieder eine „Frontstadt“, schrieb die Zeitung „Kommersant“. „Diesmal im Krieg gegen den Terror.“

Warnung vor neuem Krieg

Die Menschenrechtsorganisation Memorial forderte Putin unterdessen erneut zu einer „effektiven“ Nordkaukasus-Strategie auf. Die bergige Vielvölkerregion brauche nicht nur Strenge, sondern auch ein auf Jahrzehnte angelegtes Programm, sagte Leiter Alexander Tscherkassow. Zweimal hat der Kreml bereits einen Krieg gegen die Rebellen im Kaukasus angefangen – befriedet ist die Region deshalb aber noch lange nicht.

Der Inlandsgeheimdienst FSB vermutet bekanntlich Islamisten aus dem Nordkaukasus hinter den Bombenanschlägen: Sie hatten mit Bluttaten vor den Olympischen Winterspielen gedroht, die in gut fünf Wochen in Sotschi beginnen (siehe unten).

Der Rauch des ersten Anschlags von Wolgograd hatte sich kaum verzogen, schon hatten die russischen Medien ein Bild der Attentäterin parat: Eine junge „schwarze Witwe“ würde hinter dem Attentat auf den Bahnhof stecken, bei dem 17 Menschen ihr Leben ließen. Ebenso schnell war klar, woher der Terror kam: Aus dem Nordkaukasus, aus jenen Regionen Südrusslands, die seit Jahren um ihre Loslösung vom Riesenreich kämpfen – mit blutigen Mitteln.

Dass die Verdächtige schlussendlich nicht die Attentäterin war, ist im Endeffekt egal. Denn sie steht sinnbildlich für die Gefahr, die die Russen im Kaukasus sehen. Schwarze Witwen, die übriggebliebenen Ehefrauen islamistischer Kämpfer, sollen den Krieg bis ins Herz des ehemaligen Zarenreichs tragen. Unverdächtige Frauen mit schwarzen Kopftüchern: So entspricht es der Vorstellung der Russen; und so entspricht es in gewisser Weise auch dem Diktum von Doku Umarow.

Mythos Kaukasus

Der gebürtige Tschetschene hat sich in den vergangenen Jahren zum Führer der islamistischen Separatisten in Südrussland aufgeschwungen. Er bedient den Jahrhunderte alten Wunsch nach Loslösung vom Riesenreich mit islamistischen Ideen: War es während der beiden Tschetschenienkriege Schamil Bassajew, der die Idee vom eigenen Staat im Kaukasus mit blutigen Mitteln durchsetzen wollte, ist es spätestens seit dessen Tod 2006 der bärtige Umarow.

Wie alt der Pate ist, darüber herrscht Rätselraten – auch seine genaue Sozialisation ist mehr Legende als verbrieft. 1964 soll er in Tschetschenien zur Welt gekommen sein, soll in Moskau studiert haben, als 1994 der erste Tschetschenienkrieg ausbrach. Bald darauf fand er sich bereits im Führungsgremium der „Tschetschenischen Republik Itschkeria“ wieder, einem Separatistengebilde, das von der UNO nie anerkannt wurde. Ebenso wie das „Kaukasische Emirat“, das Umarow höchstselbst 2007 ausrief: Er erklärte sich zum Emir eines von Russland unabhängigen islamischen Gottesstaates, der beinahe alle kaukasische Teilrepubliken umfasst.

Todesbringer

Dafür, dass dieser nicht nur in den Köpfen seiner Gefolgsleute existiert, sollen seine „Smertnicy“ sorgen: Selbstmordattentäter, die den Krieg vom Kaukasus weg ins Herzen Russlands tragen sollen. Umarow selbst ist dafür nichts zu blutig: Nach dem fatalen Geiseldrama in einer Schule in Beslan, bei dem 360 Menschen – darunter viele Kinder – starben, wurde er von Überlebenden als einer der Angreifer identifiziert. Die Anschläge auf die Moskauer Metro mit 40 Toten und auf den Schnellzug zwischen der Hauptstadt und St. Petersburg mit 26 Opfern gehen ebenso auf sein Konto wie der Selbstmordanschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo im Jahr 2011 (siehe Chronologie unten).

Auch die letzte Anschlagsserie in der Wolgaregion trägt seine Handschrift. Nicht zuletzt deshalb, weil Umarow im Sommer per Videobotschaft dazu aufgerufen hat, die Olympischen Spiele in Sotschi mit Anschlägen übersäen zu wollen. „Blut und Tränen“ hat der Tschetschene den Russen versprochen. „Der Krieg wird in ihre Straßen kommen, der Krieg wird in ihre Häuser kommen.“

Kriegstreiberei

Ergebnis dieser Rhetorik ist nicht zuletzt eine wachsende Feindseligkeit der Russen gegenüber Kaukasiern, die aus ihrer Heimat Richtung Norden fliehen, um dem Krieg zu entgehen. Die Ausgewanderten sind deshalb - vor allem in Moskau - mit rassistischer Gewalt konfrontiert, werden verpügelt, gejagt und vor allem von der russischen Polizei traktiert. Sein Terrorregime bedient auch Feindbilder jedweder Art: Ramsan Kadyrow, Putins Statthalter in Tschetschenien, glaubt sogar, dass „Umarow von unseren Feinden aus dem Westen und Europa instrumentalisiert“ werde.

Putin selbst sieht in Umarow jedenfalls den Staatsfeind Nummer eins. Auch die UNO und die USA fahnden auf Betreiben des Kremlchefs nach dem bärtigen Paten, der in Videobotschaften fast immer mit schwarzer Kappe zu sehen ist. Was Putin ihm entgegensetzt - die Sicherheitsvorkehrungen für Sotschi ließ er sich einige Milliarden Euro kosten - gibt dessen eigenen Streben nach Allmacht in Russland aber auch Auftrieb: Der Kremlherrscher kann sich so zum starken Mann stilisieren - mit Aussagen wie „wir werden die Terroristen überallhin verfolgen. Wir werden sie auf dem Klo kaltmachen.“