Putin-Gegner Nawalny: Eine Freilassung mit Kalkül
Von Elke Windisch
Bis zu 10.000 Menschen hatten Donnerstagabend alleine in Moskau gegen das Urteil protestiert, das Kreml-Kritiker Alexei Nawalny kurz zuvor kassiert hatte: Fünf Jahre Haft und eine Strafe von umgerechnet 12.500 Euro. Die Polizei nahm 160 Teilnehmer fest, alle wurden inzwischen freigelassen.
Das Urteil gilt als politisch motiviert. Nawalny gehörte zu den Führern der Massenproteste im Winter 2011/12 und hatte sich durch Korruptions-Enthüllungen beim Kreml unbeliebt gemacht. Verantworten musste er sich aber für unvorteilhafte Verträge, zu denen er als Gouverneurs-Berater den Staatskonzern Kirowles gedrängt haben soll. So jedenfalls der Vorwurf der Anklage. Deren Argumentation hatte sich das Gericht sowohl beim Strafmaß als auch bei der Urteilsbegründung weitestgehend zu Eigen gemacht.
Rechte als Kandidat
Doch ausgerechnet der Staatsanwalt forderte für Nawalny gleich nach Urteilsverkündung Strafaussetzung bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens. Begründung: Als Häftling könne Nawalny seine Rechte als Kandidat bei der Moskauer Bürgermeisterwahl nicht in vollem Umfang wahrnehmen.
Die Berufungsklage – darin sind sich Beobachter einig – wird daher wohl erst nach dem 8. September verhandelt, dem Tag, an dem sich der 2010 vom Präsidenten ernannte Stadtchef Sergei Sobjanin durch vorgezogene direkte Wahlen demokratisch legitimieren lassen will. Gleichzeitig soll auch der Kreml damit vom Verdacht reingewaschen werden, Wahlkampf und Abstimmung zu manipulieren. Die Rechnung geht nur auf, wenn möglichst viele oppositionelle Herausforderer antreten und in den Medien-Duellen zu Worte kommen.
Auch sollen sich die Stimmen Unzufriedener angesichts der schlechten Resultate, die die Kremlpartei „Einiges Russland“ in Moskau traditionell einfährt, auf viele Wadenbeißer in der Opposition verteilen. Nur so sind dem „Kandidaten der Macht“ – und das ist Sobjanin, obwohl er als Unabhängiger kandidiert – 50 Prozent plus eine Stimme sicher, die ihm die Stichwahl ersparen.
Nach der Urteilsverkündung sah es so aus, als hätte Nawalny – er und die anderen vier Gegenkandidaten können laut Umfragen mit jeweils zehn Prozent rechnen – das Spiel durchschaut: Er zog die Kandidatur zurück.
Nach der Strafaussetzung gestern gilt das nicht mehr. Er, so Nawalny, halte die Kandidatur aufrecht, endgültig werde er sich nach der heutigen Rückkehr in die Hauptstadt entscheiden.
Man darf gespannt sein. Sogar Sympathisanten hatten Nawalny am Höhepunkt der Proteste unterstellt, er wolle diese als Sprungbrett für eine politische Karriere nutzen und sei zu einem Deal mit der Macht bereit.