Politik/Ausland

Putins Feinde zerfleischen sich gegenseitig

Als Leonid Wolkow im März in Vilnius mit einem Hammer niedergeschlagen wurde, war schnell klar: Das muss der Kreml gewesen sein. Der Angreifer hatte das Autofenster des Putin-Kritikers zertrümmert und auf ihn eingeschlagen; so lässt Moskau politische Feinde gern verfolgen. Wolkow, der im Exil in Litauen lebt, war einer der engsten Vertrauten von Alexej Nawalny, und der war nur ein drei Wochen vor der Attacke in sibirischer Haft umgekommen. 

Jetzt, ein halbes Jahr später, sieht die Geschichte aber plötzlich ganz anders aus. Nawalnys Organisation FBK veröffentlichte nämlich Dokumente, die den Kreml entlasten: Hinter dem Attentat sollen nicht Putins Schergen, sondern der russisch-israelische Oligarch Leonid Newzlin stecken. Er gehört zur anderen prominenten Oppositionsgruppe um  Michail Chodorkowskij, Putins erstem prominenten Häftling – Newzlin war Geschäftspartner des einst reichsten Russen.

Alle Inhalte anzeigen

Dass Nawalnys Getreue und Chodorkowskijs Organisation einander nicht mögen, ist nicht neu. Auch der Krieg gegen die Ukraine hat die Feindschaft zwischen den beiden Lagern nicht befrieden können, man trug den Streit gern via Social Media aus. Nawalnys Leute warfen Chodorkowskij und seinen Leuten da immer wieder vor, mit Hilfe Putins zu unglaublichem Reichtum gekommen zu sein – sie hätten Putin damit zu seiner jetzigen Macht verholfen.   Umgekehrt musste sich Nawalny  stets den Vorwurf gefallen lassen, gleich autoritär wie Putin zu agieren, wäre er an der Macht – also ein gnadenloser Nationalist zu sein, der Russland nicht demokratischer mache.

Nawalnys Gefolgschaft: Russlands Opposition teilt sich in zwei Lager: Auf der einen Seite steht die FBK-Stiftung des Regimekritikers Alexej Nawalny, der im Frühling in Haft umkam. FBK galt lange als einflussreichste Dissidentenbewegung,  nach Nawalnys Tod fehlt ihr aber eine Führungsfigur

Chodorkowskijs Stiftung: Öl-Magnat Michail Chodorkowskij war bis 2003 der reichste Russen, nach öffentlicher Putin-Kritik landete er für zehn Jahre im Gulag. Er gründete er im Exil die Plattform „Open Russia“ und kooperiert mit  Ex-Schwachweltmeister Garri Kasparow

Dubiose Quelle

Nur: Dass die einen den anderen Gewaltakte vorwerfen, hat eine völlig neue Dimension.  Milliardär Newzlin soll  laut geleakten Chatnachrichten verlangt haben, Wolkow „in den Rollstuhl“ zu prügeln und ihn zurück nach Russland zu verschleppen, wo jahrelange Haft auf ihn warten würde. Auch zwei andere Attacken gegen FBK-Teammitglieder soll Newzlin beauftragt haben, die fielen allerdings deutlich weniger gewalttätig aus. In Litauen und Polen ermittelt die Polizei. 

Beobachter irritiert bei der öffentlichen Fehde allerdings so einiges. Denn die  Herkunft der Chatnachrichten ist dubios. Ein sogenannter „Fixer“ hat sie dem Team Nawalny zugespielt; das sind Personen, die gute Beziehungen zum russischen Geheimdienst  haben, gegen Schmiergeld Informationen vermitteln. Dieser „Fixer“ soll aber nicht nur Nawalnys Leute informiert haben, sondern auch das russische Propaganda-Medium Russia Today – und dort wurde lang und breit über den  Krieg der Opposition im Exil berichtet.

Alle Inhalte anzeigen

"Eine Provokation des FSB"

Damit liegt der Verdacht nahe, dass der „Fixer“ ein Kreml-Mann  war, und die Veröffentlichung den Streit zwischen den Dissidenten nur befeuern sollte.  So verteidigt sich auch  Newzlin, der seit 2003 im israelischen Exil lebt: „Ich habe mit keiner dieser Taten etwas zu tun“, schrieb er auf Telegram, „das wurde in Moskau ausgeheckt.“ Auch Michail Chodorkowskij, von Nawalnys Leuten der Mitwisserschaft bezichtigt, sagt das: „Entweder ist Leonid Newslin verrückt geworden. Oder es ist eine Provokation des FSB, ein Fake, für den viel Geld ausgegeben wurde. Ich glaube Zweiteres.“

Tatsächlich hegen auch Experten Zweifel, ob die geleakten Nachrichten echt sind, zumal die russischen Geheimdienste schon öfter Dokumente so fälschten, dass selbst ausländische Dienste das nicht erkannten. Dann wären Nawalnys Leute auf einen Trick Putins reingefallen – und ein verheerender Imageschaden die Folge. 

Bis das klar ist – derzeit ermittelt die litauische und polnische Polizei –  wird es dauern. Bis dahin wird  der Kampf der Dissidenten darum  weiter in der Öffentlichkeit ausgetragen. Das nutzt aber keiner der beiden Gruppen, schreibt die kremlkritische Journalistin  Ekaterina Kotrikadze.  Der einzige, der Champagnerkorken knallen lasse, sei Putin.