Mehrheit bei Referendum: Putin kann nun regieren, bis er 83 ist
Von Evelyn Peternel
Die Zynischen in den sozialen Medien lagen ziemlich gut: "Ich tippe auf 77 Prozent. Damit sieht es nicht nach Wahlfälschung aus", war da zu lesen. Geworden sind es 78 Prozent: So gut wie alle Stimmen sind ausgezählt und eine deutliche Mehrheit der Bürger hat sich für die Verfassungsreform ausgesprochen.
Damit kann der heute 67-Jährige, der seit dem Jahr 2000 durchgehend an der Macht ist, bis 2036 weiterregieren. Freilich: Ob er das auch tut, ist nicht klar; Putin ließ bis zuletzt bewusst offen, ob er denn bei der Wahl 2024 antreten wird. Grund dafür sind sinkende Beliebtheitswerte: Im Vergleich zu 2018 würde ihn heute nur noch ein Drittel der Wähler wieder wählen.
Durchgriffsmacht
Putin verschafft sich mit der Verfassung Luft – nicht nur, was die eigene Amtsverlängerung angeht, sondern auch in puncto Durchgriffsmacht.
DurchEr baut mit den 200 neuen Zusatzartikeln den Staat ganz nach seinen Wünschen um: So können Richter künftig einfach von der Regierung abgesetzt werden, die lokale Selbstverwaltung wird aufgehoben, und alle Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe – wie etwa des beim Kreml höchst unbeliebten europäischen Menschenrechtsgerichtshofes EGMR – können vom russischen Verfassungsgericht einfach aufgehoben werden.
Russifizierung
Auch der Druck auf Minderheiten wird massiv erhöht. Dass Russisch als alleinige Staatssprache etabliert und ethnische Russen in der Verfassung hervorgehoben werden, werten Beobachter als „Russifizierung“– bisher hat sich Russland mit seinen 193 Nationalitäten immer als multiethnischer Staat deklariert. Viele Minderheiten fürchten allerdings schon länger um ihre Rechte. William Pomeranz vom Kennan Institute in Washington nennt die neue Verfassung darum eine „Fassade, die der Praxis aus der Sowjetzeit folgt“ – also unverhohlen autoritäres Regieren ermöglicht. „Putins Verfassung stellt sicher, dass alle Bewegungsmöglichkeiten für die Opposition permanent geschlossen werden.“
Das gilt auch für den Wahlgang selbst. Die unabhängigen Wahlbeobachter von Golos nannten ihn „den manipulativsten in der Geschichte Russlands“, es gibt massive Zweifel an den Zahlen. Die Behörden gaben sich nicht viel Mühe, das zu verschleiern: Am Wahltag veröffentlichte die Moskauer Wahlkommission, dass die Mehrheit der Russen für die Änderungen gestimmt hätten – und das um 15 Uhr, fünf Stunden vor Wahlschluss.