Politik/Ausland

Revolutions-Pfarrer Tokés: "Rumänien ist ein postkommunistisches Regime"

Vor 30 Jahren, am 16. Dezember, in Temeswar, begannen Gläubige vor der Kirche des evangelischen Pfarrers László Tokés zu demonstrieren. Tokés (67) sollte versetzt werden. Die Demonstrationen waren der Ausgangspunkt der Rumänischen Revolution. Mittlerweile hat Tokés drei Amtszeiten im Europaparlament hinter sich – zwei für rumänische Parteien, die vergangene für die ungarische Fidesz.

Tokés gehört zur rumänisch-ungarischen Volksgruppe und ist ein enger Freund von Ungarns Premierminister Viktor Orban. Der KURIER traf Tokés nach einer Podiumsdiskussion an der Westuniversität in Temeswar zu einem Interview.

KURIER: Viele sagen, dass Sie der Auslöser der Rumänischen Revolution waren. Stimmt das?

László Tokés: Ich bin und war kein Revolutionär. Ich habe meinen Job gemacht und hatte den Befehl Gottes, mein Bestes zu tun. Ich wollte keine Revolution anführen. Ich hatte aber sehr viel Vertrauen in meine Kirche. Ich habe die Menschen versammelt. Ich habe sie Gospel gelehrt, ich habe sie die Bibel gelehrt. Das Zentrum des Kirchenlebens ist das Wort Gottes, die Lehre Gottes. Das habe ich gemacht. Das hat bei der Mobilisierung von Menschen gegen das Regime indirekt geholfen.

Also haben Sie auf gewisse Weise doch das kommunistische System bekämpft?

Natürlich, ich habe in meinen Predigten über die Ungerechtigkeit auf der Welt und im kommunistischen System gesprochen. Natürlich verklausuliert, denn die Spione waren überall. Aber ich wollte die Menschen in meiner Kirche durch meine Predigten aufklären. Und das habe ich geschafft. In sehr kurzer Zeit gab es in meiner Kirche nicht mehr genügend Platz, weil so viele Leute zu den verschiedenen Gottesdiensten kamen. Zusätzlich war ich sehr beschäftigt damit, Jugendliche und Kinder zu unterrichten. Die Gemeinschaft wurde lebendig.

Bestand Ihre Glaubensgemeinschaft hauptsächlich aus Menschen mit ungarischen Wurzeln?

Es waren nur Ungarn. Sie müssen wissen, dass in diesem Teil Rumäniens Ethnie und Religion Zwillinge sind. Die orthodoxe Religion wird rumänische Religion genannt. Die reformierte Kirche wird ungarische Kirche genannt, die Lutheraner bilden die deutsche Kirche. Es hat sich so entwickelt, dass die unterschiedlichen Gemeinschaften eine eigene, spezielle, religiöse Identität entwickelt haben.

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Hatten Sie während der gesamten Zeit – die Revolution miteingeschlossen – nicht Angst, dass der Geheimdienst von Machthaber Nicolae Ceausescu, die Securitate, eines Tages kommt und Sie verschwinden lässt?

Ja, manchmal waren wir erschreckt und verängstigt. Das war die gesamte Gesellschaft. Nirgends gab es so viele Spione wie in Rumänien zu Zeiten der Securitate. Keiner wagte es, frei zu sprechen. Überall bespitzelten einen die Verräter. Die Menschen lebten in Elend, Armut und Dunkelheit. Der Strom wurde für jeden Tag gedrosselt. Das wurde nicht nur getan, um zu sparen. Es wurde auch getan, um die Menschen psychologisch und spirituell einzuschüchtern.

Bei der heutigen Podiumsdiskussion sind Sie auf jemanden treffen, der damals für die Securitate gearbeitet hat. Er machte nach der Revolution in Rumänien Karriere. Wie geht es Ihnen damit?

Ja, ein Securitate-Offizier war hier. Er war damals mit meinem Fall betraut. Er war der Vize-Anführer der Securitate in dieser Region. Das bloße Fakt, dass er hier war, demonstriert, wie die Situation nach 30 Jahren in Rumänien ist. Die Securitate ist noch immer präsent in der gesamten Gesellschaft. Das bloße Fakt, dass ich nach 30 Jahren solchen Figuren gegenübertreten muss, die die engagiertesten Unterstützer der Ceausescu-Diktatur waren, demonstriert, dass Rumänien noch immer ein postkommunistisches Regime ist. Es gibt sehr viele Historiker vom alten Regime, die die Realität, die Sachlage und historische Ereignisse bewusst missinterpretiert haben. Sie haben die Aufgabe, die Politik der Erinnerung zu beeinflussen. Sie schreiben die Geschichte der Revolution.

Was denken Sie: Warum war der Mann hier?

Ich habe jetzt gerade ein Verfahren gegen zwei, ehemals hohe Securitate-Offiziere in Bukarest. Diese Menschen waren Führer der Securitate in der Zeit von Nicolae Ceaucescu und Ion Iliescu. Sie haben mir vorgeworfen, ein Spion der ungarischen Geheimpolizei gewesen zu sein und Verrat begangen zu haben. Der Mann, der hier war, war der Augenzeuge eines Mannes in meinem Verfahren in Bukarest. Sie sind Provokateure und ihr politisches Engagement ist in Rumänien tief verankert.

Sind Sie wegen dieser Missstände zur ungarischen  Fidesz gewechselt?

Nein, da gibt es keinen Zusammenhang. Das hab ich deshalb gemacht, weil mir der dritte Platz auf der ungarischen Liste angeboten wurde. Und das war ein sicherer Sitz im Europäischen Parlament.