Politik/Ausland

Polit-Beben nach Thüringen: FDP in Erklärungsnot

"Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren", der Satz mit dem Christian Lindner 2017 die Sondierungsgespräche mit CDU und Grüne aufkündigte, hat seit Mittwochmittag eine neue Bedeutung bekommen: Thomas Kemmerich, 54 Jahre, Jurist aus Aachen, der eine Friseurkette aufgebaut hat, ist ein bisher kaum aufgefallener FDP-Landespolitiker, Vorsteher einer Fünfprozentpartei, und nun Ministerpräsident von Thüringen.

Das wäre an sich nichts Besonderes, wäre seine Wahl nicht wegen der Stimmen einer radikal rechten Partei zustande gekommen - zum ersten Mal nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur. Ausgererchnet in Thüringen, wo die AfD einen eindeutigen völkisch-nationalistischen Kurs fährt. Sie gilt beim regionalen Verfassungsschutz als Prüffall. Landeschef Björn Höcke darf laut Gerichtsbeschluss gar als Faschist bezeichnet werden.

Dazu kommt, dass es ein offenbar abgekartetes Spiel war. Die AfD brachte zwar einen eigenen Kandidaten ins Spiel, doch beim dritten Wahlgang ließ man ihn fallen, gab ihm keine Stimme, was dieser später als "aufgegangenen Plan" bezeichnete. Indem man mit CDU und FDP für den liberalen Kandidaten stimmte, wurde Amtsinhaber und Wahlsieger vom Oktober, Bodo Ramelow (Linke), verhindert. Nebenbei gibt es nun Streit bei CDU und FDP.

Für den langjährigen Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, ist das Verhalten der FDP "völlig inakzeptabel". Er twitterte Fotos, die Kemmerich beim Handschlag mit AfD-Landeschef Björn Höcke und Nazi-Führer Adolf Hitler beim Händedruck mit dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zeigen.

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Für den Bundesvorsitzenden der Liberalen, Christian Lindner, ist die Sache hochproblematisch. Vor den Kameras wirkte er am Mittwoch konsterniert, gab sich ob der Wahlentscheidung überrascht. Es sei eine „für die Freien Demokraten überraschende Entwicklung in Thüringen“, erklärte er den Reportern. Mit der AfD wolle die FDP nicht zusammenarbeiten, es liegt daher an CDU, SPD und Grüne mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er spielt den Ball also weiter.

Dabei musste er mit dieser AfD-Finte gerechnet haben.

Wusste Christian Lindner Bescheid?

So war es offenbar auch, denn CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ließ gestern wissen, dass sie ihn gewarnt und gebeten habe, keinen Kandidaten aufstellen zu lassen, weil genau das passieren konnte, was nun Fakt ist: Ein liberaler Politiker sitzt ohne Regierungsmannschaft im Sessel des Ministerpräsidenten - dank AfD-Gnaden.

Hinter den Kulissen haben man sich aber angeblich auf dieses Szenario eingestellt, berichtet der Business Insider. Der Thüringer FDP-Chef soll nach einer Sitzung des Landesvorstandes mit Lindner telefoniert, ihn von seiner Kandidatur informiert habe. Dabei wurde angeblich auch erörtert, wie damit umzugehen sei, wenn Kemmerich tatsächlich mit Stimmen der AfD gewählt werde. Dass er damit rechnen konnte von ihr unterstützt zu werden, zeigt auch ein Schreiben, das der MDR vor Wochen veröffentlicht hat. Darin bietet AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke FDP-Mann Thomas Kemmerich sowie CDU-Mann Mike Mohring eine "von unseren Parteien gemeinsam getragene Expertenregierung oder eine von meiner Partei unterstütze Minderheitsregierung" an.

Linder, den Vorsitzenden der Bundespartei, bringt das alles nun in Erklärungsnot. Er fuhr bereits heute nach Erfurt, er wolle mit Kemmerich sprechen. Mehrere deutsche Medien berichten, dass er ihn zum Rücktritt auffordern will.

One-Man-Party

Selbst wenn er die Sache auf diese Art bereinigt, wirft es kein gutes Licht auf den Mann, der seine Partei 2017 in den Bundestag zurückbrachte. Das Comeback, das er mit der Partei nach ihrem Rausschmiss 2013 feierte, ließ Liberale wieder hoffen, eine Regierungsbeteiligung war zum Greifen nahe. Doch die endete bekanntlich in einer nasskalten Novembernacht, wo der Parteichef die Reißleine zog, aus den Sondierungen zur "Jamaika"-Koalition ausstieg.

Was auch immer er sich davon versprach, das Image als smarter Aufsteiger, der auf Wahlplakaten wie ein Hugo-Boss-Model posierte, seine Partei als Start-up inszenierte, hat im Wettbewerb zwar gut funktioniert, aber im politischen Alltag hat die FDP mit dem Image als "One-Man-Party" zu kämpfen.

In den Reihen der Oppositionsbank fällt sie kaum auf, es sei denn der Parteichef gibt Interviews, fällt mit markigen Sprüchen zum Thema Asyl oder Klimwandel auf. Denn Klimaschutz, das sei "Sache der Profis", Lindners Kommentar zu den Protesten der Fridays-For-Future-Bewegung, bekam ihm nicht gut und verfolgt ihn ähnlich wie der "Besser-nicht-regieren"-Sager. Ähnlich formuliert musste er ihn nun aus den eigenen Reihen hören bzw. in der "Bild-Zeitung" lesen. Seine Stellvertreterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann befand: "Nicht regieren ist besser, als von Björn Höcke gewählt zu werden."