Politik/Ausland

Paukenschlag in Berlin: Röttgen prescht im CDU-Machtkampf vor

Die CDU sucht nach dem angekündigten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK, die richtige Person für die Spitze. Im Kern geht es um den Sieg bei der deutschen Bundestagswahl im nächsten Jahr und damit um die Rettung der Rolle als letzte große Volkspartei. Allerdings gibt es nicht nur einen Politiker, der sich die Rettung der CDU zutraut, sondern mindestens vier. Am Dienstag verkündete Ex-Umweltminister Norbert Röttgen überraschend seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz.

Bisher rechnete Deutschland mit einem Dreikampf von Ex-Fraktionschef Friedrich Merz, Gesundheitsminister Jens Spahn und Armin Laschet, dem Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens (NRW). Allerdings hielten sich die drei bisher bedeckt. "Ich bin nicht der vierte, sondern ich bin der erste, der die Kandidatur erklärt", sagte Röttgen daher bei seinem Auftritt am Dienstag.

Es gehe um "die Zukunft der CDU" und eine "christlich-demokratische Idee von der Zukunft unseres Landes". Davon habe er seit dem Rückzug von AKK vor einer Woche wenig gehört, sagte er in Richtung der drei noch inoffiziellen Bewerber.

Auch zum bisherigen Vorgehen bei der Kandidatensuche fand er deutliche Worte. "Das Verfahren hat mich nicht überzeugt. Ich glaube, das ist so ein bisschen wie eine Jacke: Wenn man schon am ersten Knopf falsch knöpft, wird das so nichts mehr." Röttgen findet die vertraulichen Gespräche der scheidenden CDU-Chefin mit ihren möglichen Nachfolgern nicht transparent. Erst am Dienstag traf Kramp-Karrenbauer sich mit Merz.

Mann von gestern

Gegen den 64-jährigen Merz hatte der versierte Außenpolitiker Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, noch einen anderen Seitenhieb parat. Die CDU müsse "anfangen, in eine Beziehung zu der Realität von heute zu treten". Auf die aktuellen Fragen könne die CDU nicht mehr mit "Formeln aus der Bonner Republik" antworten. Das war klar auf den wirtschaftsliberalen Merz gemünzt, der im Machtkampf mit Kramp-Karrenbauer schon im Herbst 2018 zum Mann von gestern gestempelt worden war.

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Röttgen gilt im politischen Berlin als exzellenter Rhetoriker. In seinem einstigen Amt des Umweltministers, das er von 2009 bis 2012 innehatte, galt er als Angela Merkels Musterschüler, Spitzname "Muttis Klügster". Zugleich hat er den Ruf, wenig volksnah zu sein.

Mit der Kanzlerin hat Röttgen aber eine schwierige Vorgeschichte: 2012 verlor er als Spitzenkandidat die Wahl in NRW, Röttgen warf ihren Umweltminister aus der Regierung. Röttgen betont jetzt trotzdem, Merkel solle bis Ende der Legislaturperiode bleiben.

Röttgen zeigte sich bei der Bundespressekonferenz am Dienstag bemüht, konservative Selbstkritik zu üben, ohne die immer noch beliebte Kanzlerin anzugreifen. Die Frage, ob seine kritische Darstellung der Probleme Deutschlands (Klima, Migration, fehlendes außenpolitisches Gewicht) keine Merkel-Abrechnung sei, verneinte er. "Mich interessieren die Gegenwart und die Zukunft."

Röttgens Schachzug verändert die Lage

Die überraschende Bewerbung Röttens ist eine neue Variable in der komplizierten Machtarithmetik der Union. Merz und Spahn gelten als wertkonservativ und in der Migrationsfrage als restriktiv, Laschet und Röttgen tendenziell als Grün-Verbinder.

Die CDU möchte auf jeden Fall eine langwierige Chefsuche wie 2018 vermeiden, als Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn wochenlang für CDU-Regionalkonferenzen durchs Land tourten. Deshalb fordert auch Röttgen einen Sonderparteitag "deutlich vor der Sommerpause", wo der CDU-Vorsitz entschieden werden solle.

Aufgrund des Führungsvakuums in der CDU gilt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als Königsmacher. Denn: CDU und CSU müssen gemeinsam einen Kanzlerkandidaten finden.

Röttgens überraschendes Vorpreschen könnte aber etwaige bisherige Abmachungen hinfällig machen. Zwischen Merz und Spahn laufen seit vergangener Woche Gespräche. Laschet, Spahn und auch Söder hatten sich zuletzt für eine "Teamlösung" ausgesprochen. Dies kommentiert Röttgen so: "Alle sind immer für Team, ich auch." Die Teamidee sei aber derzeit "eher eine Taktik, wie man die Interessen Einzelner unter einen Hut bringt".

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